
Johannes Herber, der Geschäftsführer der Sportlervertretung Athleten Deutschland, sprach sofort über die, die oft keine Stimme bekommen. Herber erinnerte an die Turnerin Tabea Alt, die in einem Brief an ihren Verband über Essstörungen, Straftraining, Schmerzmittel und Demütigungen an ihrem Stützpunkt berichtet hatte. Er erwähnte die „grenzüberschreitenden“ Erfahrungen der Leichtathletin Tabea Themann, auch die 17 Ruderinnen und Ruderer, die schwere Vorwürfe gegen einen Trainer erhoben hatten. „Ein kleiner Auszug der Berichterstattung der vergangenen Monate“, sagte Herber am Mittwoch im Ausschuss für Sport und Ehrenamt des Bundestages. Was zeige, wie gewaltig das Problem von sexualisierter, verbaler und anderweitiger Gewalt im Sport sei. Und dass „zu viele“ Verfahren noch immer versandeten.
Auch die Abgeordneten im Ausschuss für Sport und Ehrenamt hatten sich zuletzt recht ausgiebig damit beschäftigt, wie Olympische und Paralympische Spiele künftig wieder in Deutschland stattfinden könnten. Oder auch: Wie deutsche Athleten wieder mehr Medaillen gewinnen sollen. Umso wichtiger, dass Abgeordnete und Sachverständige wie Herber sich am Mittwoch über eine Stunde den Schattenseiten des Geschäfts widmeten. Im Fokus war das Herzstück der Bemühungen, Gewalterfahrungen im Sport künftig besser zu erfassen und zu sanktionieren: das Zentrum für Safe Sport, das bald hierzulande gegründet und aufgebaut werden soll. Und auch wenn sich alle Beteiligten gegenseitig kräftig darin bestärkten, wie wichtig es sei, ein System zu schaffen, in dem jede Meldung ernst genommen, unabhängig untersucht und konsequent sanktioniert wird: Es wurde auch deutlich, wie schwer es weiter Bemühungen haben, bei denen sich im Grunde alle einig sind.

Die konkrete Ausgestaltung eines Zentrums für Safe Sport zieht sich, auch wegen juristischer Fragen, schon seit Jahren hin. Die Position der Athletenvertreter, die Herber am Mittwoch erneut vortrug, lässt sich dabei, grob gesagt, so bündeln: Nur wenn ein solches Zentrum von Beginn an unter den bestmöglichen Rahmenbedingungen arbeitet, kann es seinen Zweck erfüllen. Eine zentrale Forderung: Die Förderung, die Sportverbände vom Bund erhalten, sollte daran gekoppelt werden, dass die Verbände einem Zentrum für Safe Sport künftig beitreten und diesem übertragen, strittige Fälle zu untersuchen und sanktionieren. Auch soll die geplante Finanzierung – derzeit 2,8 Millionen Euro im Bundeshaushalt 2026, fünf Millionen für 2027 – schrittweise ausgebaut werden.
Ein Kernproblem, das viele Fälle verbindet, spiegelte sich zuletzt in Fällen aus dem Amateur- und Jugendfußball. Das Portal Correctiv und das Magazin 11 Freunde hatten über Manipulation, Mobbing und Missbrauch im Jugendfußball berichtet. Fliegen solche Taten an einem Ort auf, heuern die Trainer nur oft woanders an, in einem anderen Bundesland etwa. Und suchen sich dort neue Opfer. Um das zu unterbinden, könnte eine Trainerdatei weiterhelfen, findet Kerstin Claus, die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexualisierten Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Vereinen müsse es möglich sein, sich bei vorherigen Stationen über Trainer und Trainerinnen zu informieren, „um ausschließen zu können, dass Ursache für den Wechsel mutmaßliche Grenzverletzungen war“, sagte Claus unlängst der Deutschen Presse-Agentur. Das Problem hierzulande ist allerdings der Datenschutz – und dass es bisher keine Stelle gibt, die ein solches Register führen und überwachen könnte.
Womit man wieder beim Zentrum für Safe Sport angelangt ist, das sich auch dieser Aufgabe annehmen könnte. Dafür müsste allerdings ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, um Daten zu verarbeiten, Informationen austauschen zu können. Silke Sinning, Vizepräsidentin des Deutschen Fußball-Bundes, bekräftigte am Mittwoch, dass die Politik dem Sport da zunächst helfen müsse. Stefanie Schulte, Abteilungsleiterin Nachhaltigkeit des DFB, ergänzte indes, dass das noch größere Probleme noch früher entstehe: Viele Kinder schwiegen oft, weil sie nicht verstünden, was ihnen widerfahre. Da müsse man als Verband noch deutlich mehr Aufklärung leisten.
Dass der Safe Sport Code verabschiedet wurde, bedeutet noch lange nicht, dass er zügig in der Praxis umgesetzt wird
Die Sportverbände haben im vergangenen Jahr immerhin schon einen längst überfälligen Vorstoß unternommen. Im Dezember verabschiedeten die Mitgliederorganisationen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) einen sogenannten Safe Sport Code – nicht zu verwechseln mit dem Zentrum für Safe Sport. Der Kodex kann dem Sport und seinen Verbänden etwa auch dann ermöglichen, Fälle zu sanktionieren, wenn kein strafrechtlich relevantes, aber dennoch übergriffiges Verhalten vorliegt: Hilfestellungen mit unangemessenem Körperkontakt etwa oder verbale Demütigungen.
Ein Problem: Die Meldungen darüber sollen fürs Erste die Sportorganisationen selbst entgegennehmen. Dabei bräuchte es eine übergeordnete Stelle, finden Experten, wie eben das Zentrum für Safe Sport. Und dass der Safe Sport Code verabschiedet wurde, bedeutet noch lange nicht, dass er zügig in der Praxis umgesetzt wird: Erst Ende 2028 sollen alle Mitgliedsorganisationen des DOSB ihn verpflichtend in ihre Satzungen aufgenommen haben.
Silke Sinning gab nun zu bedenken, dass der DFB zunächst einmal seine eigene Satzung darauf rechtssicher abstimmen müsse. Daran arbeite man intensiv. Bis ein Zentrum für Safe Sport als weiterer Baustein dazukommt, hat es indes noch einige Gänge durch die Instanzen vor sich, etwa die Sportministerkonferenz am kommenden Wochenende in Heidelberg. Geht es nach der Bundesregierung, soll das Zentrum im Frühjahr 2026 gegründet werden, im Laufe des Jahres 2027 personell und strukturell so hochgefahren sein, dass es die Arbeit aufnehmen kann.
Und dann: Fließt künftig wirklich nur noch Sportförderung an die Verbände, die ihre Fälle dort untersuchen und sanktionieren lassen? Johannes Herber betonte am Mittwoch noch einmal, wie wichtig eine solche „Verbindlichkeit“ sei. Er habe erlebt, dass viele Verbände sich oft erst dann auf den Weg der Aufarbeitung machten, wenn sie Skandale erlebt hätten. Auch würden 40 Prozent jener Fälle, die sich an seine Vertretung wendeten, nicht von Sportorganisationen sanktioniert. Christiane Schenderlein, Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, reagierte im Ausschuss allerdings zurückhaltend. „Im ersten Schritt“ setze man auf Freiwilligkeit und die Vorbildwirkung vieler Verbände, die bekundet hätten, dem Zentrum beitreten zu wollen. Die Sportförderung daran zu koppeln, sei ein „scharfes Schwert“, so Schenderlein. Frei übersetzt: Die könnte im zweiten Schritt erfolgen, womöglich auch festgezurrt sein in einem Sportfördergesetz, das Schenderlein bald vorstellen will.
Bis die gewünschte Verbindlichkeit Einzug hält, dürfte also weiter Zeit verstreichen. Zeit, die viele Opfer nicht haben.