Wie man Stress an der Nasenspitze erkennen kann – Wissen

Immer der Nase nach, kann ein brauchbarer Hinweis sein, wenn man keinen Plan hat. Hungrige Mäuler mit ausgeprägtem Geruchssinn mag diese Devise in die Küche führen. Dem Holzbengel Pinocchio hingegen wird nachgesagt, dass seine Nase zu beträchtlicher Länge anwächst, sobald er lügt. Die Nase könnte den Untersuchungen britischer Wissenschaftler zufolge allerdings noch eine weitere Signalwirkung bereithalten.

Psychologen der University of Sussex hatten Freiwillige Stresstests ausgesetzt. Sie wurden aufgefordert, vor Fremden spontan einen Kurzvortrag zu halten. Danach mussten sie von 2023 in 17er-Schritten subtrahieren. Der Stress war den Teilnehmern buchstäblich ins Gesicht geschrieben: Eine Wärmekamera zeigte die Durchblutung an. Die Nase bekam unter der psychischen Belastung weniger Blut ab – und wurde kalt.

„Unter Stress wird der Blutfluss umverteilt, weg von Haut und Magendarmtrakt – hin zu Muskeln und Herz“, sagt Stefan Gründer, Physiologe an der Technischen Hochschule Aachen. „Die Umverteilung bewirkt wesentlich der Sympathikus, er reguliert die Durchblutung.“ Die Nervenversorgung ist besonders ausgeprägt in vom Rumpf entfernten Regionen wie Händen und Füßen, Fingern und Zehen, Nase und Ohren. Außerdem gibt es Kurzschlüsse zwischen Arterien und Venen, wodurch die Hautdurchblutung gesteigert werden kann. „Wird bei Stress der Sympathikus aktiviert, verengen sich die Hautgefäße und die Durchblutung sinkt“, sagt Gründer. „Kurzschlüsse schließen sich. Weiße Haut und Abkühlung sind die Folge. Insofern kann Stress zu kalten Händen und Füßen sowie Nase und Ohren führen.“

Unter Stress kann das System überreguliert sein

Die Drosselung der Durchblutung verläuft bei Kälte von peripher nach zentral. „Hände und Füße zuerst. Die Gesichtshaut ist später dran“, sagt Michael Gekle, Physiologe an der Uni Halle-Wittenberg. „Bei der Nase ist zwischen Haut – die bekannt kalte Nasenspitze – und Schleimhäuten zu unterscheiden.“ Die Schleimhäute wärmen die Luft an und sollten gut durchblutet sein. Dies führt zur „laufenden Nase“ bei Kälte. „Unter Stress kann das System überreguliert sein und eine hohe Sympathikusaktivität ,aus Versehen‘ zur verringerten Durchblutung der Gesichtshaut beitragen, inklusive blasser Nase“, sagt Gekle. „Sind die Schleimhäute auch von Fehlsteuerung und Minderdurchblutung betroffen, erklärt das die ‚verstopfte‘ oder trockene Nase bei Stress.“ Parallel können Schweißdrüsen fehlgesteuert sein, sodass kalter Schweiß im blassen Gesicht steht; auch rund um die Nase. „In diesem Fall sind Hände und Füße manchmal später betroffen“, so Gekle. „Sollten unter Stress die Hände feucht sein, ist das ein Zeichen, dass es auch dort zur Fehlaktivierung der Schweißdrüsen kommt.“

Wie lange es dauert, bis die Nase wieder so warm wie vor dem Stress wird, ist für die Forscher aus Sussex ein Hinweis darauf, wie gut Menschen mit Belastungen umgehen und ob sie womöglich Unterstützung brauchen. Eine Wärmekamera ist allerdings umständlich für die Erfolgskontrolle. Hilfreicher wäre es, Entspannungstechniken für unangenehme Momente einzuüben – und sich ab und zu an die eigene Nase zu fassen.