
Ja, es ist kein Leichtes, für Bücher zu werben und die richtigen, appetitanregenden Adjektive zu finden. Wo früher in den Verlagsvorschauen oder Klappentexten Erzählweisen als „raffiniert“, „meisterhaft“ oder „virtuos“ angepriesen wurden und man nicht nur bei Krimis eine Vorliebe für „spannend“, „fesselnd“ und „packend“ entwickelte, scheinen diese Lobesvokabeln heute nicht mehr auszureichen.
Wo generell ein gewisses Unbehagen an der Fiktion herrscht, an großen historischen Panoramen, die in vergangene Jahrhunderte führen, da gilt es seit einiger Zeit als angesagt, in jedem Text das unverstellte Ich des Autors und der Autorin aufzuspüren, und dies, sofern man es gefunden hat, als Qualitätskriterium auszumachen. Das Werk tritt hinter demjenigen zurück, der es geschrieben hat. Caroline Wahl zum Beispiel kann davon ein trauriges Lied singen.
So kam es zum Siegeszug des „Autofiktionalen“. Während es früher genügte, ein Werk als „autobiographisch“ zu klassifizieren, tummelt sich nun in allen Verlagskatalogen das intellektueller wirkende „autofiktional“ in einer Häufigkeit, dass man glauben könnte, es gebe gar keine „nichtautofiktionalen“ Romane mehr. Freilich auch Modewörter haben Defizite, und so hat das ein wenig kalt wirkende „autofiktional“ den Nachteil, sich nicht gut steigern zu lassen. Sätze wie „Das ist Annie Ernaux’ autofiktionalstes Buch“ überzeugen nicht hundertprozentig.
Der nicht zu toppende Superlativ
So nimmt es nicht wunder, dass man – da die Vorliebe fürs Nichterfundene ungebrochen ist – nach Alternativen sann und einen zwar gewöhnungsbedürftigen, aber nicht zu toppenden Superlativ fand. Da die Leser offenkundig danach verlangen, in Romanen das Autoren-Ich unverstellt anzutreffen, ist nun allenthalben vom „persönlichsten Buch“ die Rede. Dahinter steckt die alte Sehnsucht nach dem Authentischen, nach dem „Echten“, das ohne das Deckmäntelchen der Fiktion auskommt. Wie wir Autorinnen und Autoren bei Lesungen quasi anfassen und danach wie eh und je mit der Frage „Haben Sie das alles selbst erlebt?“ behelligen wollen, so gieren wir nun danach, ihr „Persönlichstes“ offenbart zu bekommen.
Die Beispiele der letzten Jahre sind Legion. Francesca Melandris „Kalte Füße“, Han Kangs „Weiß“, Sophie Passmanns „Pick me girls“, Alexander Kluges „Das Buch der Kommentare“, Feridun Zaimoglus „Sohn ohne Vater“, Papst Franziskus’ „Wage zu träumen!“, Uwe Timms „Alle meine Geister“, Ulrike Draesners „zu lieben“ oder, ganz aktuell, Clemens J. Setz’ „Das Buch zum Film“ – überall haben wir es mit dem „persönlichsten Buch“ zu tun, als läge darin das letzte, das entscheidende Verkaufs- und Qualitätsargument. Manchmal sind im Lauf der Zeit sogar Nachbesserungen unumgänglich. Galt erst Ferdinand von Schirachs „Kaffee und Zigaretten“ als sein persönlichstes, so steht nun „Nachmittage“ an oberster Stelle des emotionalen Schirach-Rankings.
Irgendwie klingt das auch feinfühlig
Mal sind es die Werbeabteilungen der Verlage, denen wir dergleichen zu verdanken haben, mal greifen Rezensenten den Ball freudig auf. Selbst in der Literaturgeschichte wird man fündig, und so erfahren wir, dass Thomas Mann mit dem „Tod in Venedig“, Nietzsche mit „Also sprach Zarathustra“ und Richard Yates mit „Eine gute Schule“ ihre „persönlichsten“ Bücher geschrieben hätten. Auch Autoren selbst entdecken, dass sich damit punkten lässt, und beziehen in Interviews, wie Michael Kleeberg oder Ian McEwan, das Attribut auf ihre eigenen Werke.
Freilich, der Superlativ hat seine Tücken. Wer ihn verwendet, tut so, als kenne er alle Werke der betreffenden Autoren in- und auswendig. Um dieser Anmaßung vorzubeugen, behilft man sich mit einem einschränkenden Adverb und spricht gern vom „vielleicht persönlichsten“ Buch – was irgendwie auch recht feinfühlig klingt. Nicht verschwiegen werden darf, dass solche Anpreisungen zum Bumerang werden können. Denn seien wir ehrlich: Wollen wir wirklich – ich nenne keine Namen – von allen Autorinnen und Autoren ihre persönlichsten Bekenntnisse aufgetischt bekommen? Sind wir bei manchen nicht dankbar dafür, wenn sie uns damit verschonen? So gesehen, wäre ich glücklich, wenn „autofiktional“ oder „persönlichst“ alsbald wieder in der Mottenkiste der Werbebanalitäten verschwänden.
Vielleicht wäre es ja reizvoll, Leserinnen und Leser künftig mit einem kühnen „Das ist sein unpersönlichstes Buch!“ anzulocken. Mich würde das interessieren.