
Von Weitem eine prächtige Landmarke, aus der Nähe fast schon ein trauriger Schandfleck: Zumindest die Außenanlagen von Kloster Johannisberg im Rheingau sind alles andere als gepflegt. Die zunehmende Verwahrlosung der imposanten Anlage unweit von Schloss Johannisberg führt zu Kopfschütteln, nicht nur im Ort selbst. Gerüchte kursieren, Spekulationen machen die Runde.
Schließlich hatte der vor zwei Jahren gestorbene Frankfurter Unternehmer, Gründer des Dienstleistungskonzerns Wisag, Claus Wisser ganz andere Pläne für das 1853 als „Wasserheilanstalt“ errichtete Kloster, das 1920 von den Benediktinerinnen übernommen und erweitert worden war. Die von dem Mäzen im Jahr 2018 begonnene Generalsanierung von Kloster Johannisberg brachte er mit großem Aufwand, intensivem persönlichen Einsatz und akribischer Perfektion so weit, dass er im Juni 2022 seinen 80. Geburtstag in dem Kulturdenkmal feiern konnte. Da war der zweite Bauabschnitt schon fest eingeplant, und in Gesprächen ließ Wisser keine Zweifel aufkommen, dass sein „Geschenk an die Region“ vollendet werde.

Handwerker und Bauleute sind auf dem verwaisten Ensemble schon lange nicht mehr gesehen worden. Vor gut einem Jahr hatte Michael Wisser die F.A.Z. auf Nachfrage wissen lassen, dass die Pläne seines Vaters selbstverständlich realisiert würden: „Daran kann kein Zweifel bestehen.“ Doch diese wuchsen mit der Dauer des Stillstands, zumal Wisser gegenüber der F.A.Z. selbst eine unerwartet langwierige Nachlassregelung angedeutet hatte, die Geduld erfordern werde.
Stillstand befördert Spekulationen
Zuletzt hatte der Geisenheimer Bürgermeister Christian Aßmann (parteilos) aus Sorge um das Johannisberger Stadtbild und wegen Nachfragen aus der Politik und der Bürgerschaft an Wisser appelliert, die Liegenschaft im Rheingau weiter „zu sanieren, zu modernisieren und zu unterhalten“ und damit seiner Verantwortung gerecht zu werden.
Nach Informationen der F.A.Z. ist für Michael Wisser die aktuelle Situation rund um das Kloster ebenfalls wenig erfreulich. Sie entspreche nicht dem Wunsch seines Vaters, teilt er mit. „Das ist auch für mich in höchstem Maße frustrierend“, heißt es in einem Briefwechsel zwischen Wisser und dem Geisenheimer Bürgermeister, in den die F.A.Z. Einblick hatte.
Michael Wisser, der Alleinerbe ist und in dem Briefwechsel das „lange geplante und gut durchdachte notarielle Testament“ seines Vaters lobt, hat nach eigenen Angaben inzwischen die gemeinnützige Claus Wisser Stiftung gegründet. Sie soll das Kloster Johannisberg mit rund 20 Millionen Euro „Verbrauchsvermögen“ bewahren. Zweck der Stiftung ist es laut Wisser, „das Werk meines Vaters zu Ende zu führen“ und das Kloster Johannisberg der Region zur Verfügung zu stellen. Die Claus Wisser Stiftung sei von der Stiftungsbehörde in Darmstadt inzwischen anerkannt und funktionsfähig.
Testamentsvollstreckung wird teuer
Dass das teilsanierte Kloster dennoch im Dornröschenschlaf liegt, begründet Wisser in seinem Brief an Aßmann damit, dass sein Vater völlig überraschend kurz vor seinem Tod eine Notarurkunde unterschrieben habe, die eine „vollumfängliche“ Testamentsvollstreckung anordnete. Die Sozietät des ausführenden Notars sei zur Testamentsvollstreckerin eingesetzt worden. Laut Wisser werden sich die Gebühren für diese Vollstreckung auf nicht weniger als sechs bis acht Millionen Euro belaufen.
Warum Claus Wisser diesen Schritt unternommen hat, obwohl er seinen Sohn zum Alleinerben eingesetzt hatte, ist für diesen nicht erklärbar. Er gehe davon aus, dass sein Vater zu diesem Zeitpunkt die Tragweite dieser Unterschrift nicht mehr habe überblicken können, heißt es in der Korrespondenz. Michael Wisser beruft sich auf ein medizinisches Gutachten und eidesstattliche Versicherungen von drei behandelnden Ärzten zum Gesundheitszustand seines Vaters. Er hat daher die Verfügung angefochten und Klage gegen die Sozietät des Notars eingereicht.
Laut Wisser ist es „juristisch leider so“, dass die Sozietät des Notars sich auf die von seinem Vater unterzeichnete Urkunde beruft, die neu gegründete Claus Wisser Stiftung nicht anerkennt und damit alle weiteren Schritte im Hinblick auf das Kloster Johannisberg blockiert. Wisser wartet nun darauf, dass ein Gericht das Testamentsvollstreckerzeugnis einzieht und in der Sache entscheidet.
Die Stadt Geisenheim bittet er schriftlich „noch etwas um Geduld“. Wisser versichert aber, dass „ich dafür sorgen werde, dass das Kloster und die rund 20 Millionen Euro Verbrauchsvermögen so schnell wie möglich in die Stiftung kommen, sobald diese unsägliche Situation gerichtlich geklärt ist“.