
Endlich ist es so weit. Nach wochenlangem Warten hat
Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) Vorschläge vorgelegt, wie in der
gesetzlichen Krankenversicherung gespart werden soll. Ihr erklärtes Ziel:
Versicherte und Arbeitgeber sollen zum Jahreswechsel keine höheren Beiträge
zahlen müssen.
Konkret plant Warken, 1,8 Milliarden Euro bei den
Krankenhäusern einzusparen, 100 Millionen bei den Verwaltungskosten der
Krankenkassen und 100 Millionen beim Innovationsfonds, aus dem etwa Projekte zu
neuen Versorgungsformen finanziell gefördert werden. Doch der Plan der
Ministerin hat drei relevante Schwachstellen.
Erstens: Die Gefahr, dass die Zusatzbeiträge steigen
könnten, bleibt bestehen. Warkens Vorschläge sollen insgesamt ein Defizit von
zwei Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung stopfen. Doch Beobachter
gehen davon aus, dass die Lücke tatsächlich größer sein dürfte, zuletzt war die
Rede von vier Milliarden Euro.
Denn Warken orientiert sich bei dem Zweimilliardendefizit offenbar
an der positiven Wirtschaftsprognose ihrer Kabinettskollegin Katherina Reiche
(CDU) aus der vergangenen Woche. Die Wirtschaftsministerin hat die Frühjahresprognose 2026 auf 1,3 Prozent nach oben korrigiert und damit indirekt auch
mehr Einnahmen für die Krankenkassen in Aussicht gestellt.
Beiträge dürften weiter steigen
Das Problem: Selbst wenn sich die optimistische Prognose bewahrheiten
sollte, drohen die Beiträge zum Jahreswechsel trotzdem zu steigen. Das liegt
daran, dass den Krankenkassen gesetzlich vorgegeben wird, Mindestreserven in
Höhe von 20 Prozent einer Monatsausgabe vorzuhalten. Dies dürfte einem großen
Teil der Kassen bis Jahresende nicht gelingen, da die zur Auffüllung vorgesehenen
Überschüsse aktuell nicht ausreichen.
„Der Zusatzbeitragssatz von 2,9 Prozent, den die
Versicherten aktuell im Durchschnitt zahlen, wird zum Jahreswechsel nicht
stabil bleiben können“, sagt Gesundheitsökonom Jürgen Wasem im Gespräch mit der
ZEIT. „Allein wegen der Auffüllung der Mindestreserven werden viele Kassen im
kommenden Jahr den Zusatzbeitragssatz um 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte anheben
müssen.“
Janosch Dahmen,
gesundheitspolitischer Sprecher der Grünenfraktion, fürchtet einen noch
höheren Anstieg. „Die konjunkturelle Schönrechnung
von Ministerin Warken soll Stabilität vorgaukeln, wo in Wahrheit ein wachsendes
Finanzloch klafft“, sagt Dahmen der ZEIT. „Schon jetzt ist klar, dass ihr
Sparpaket Beitragssteigerungen nicht verhindern wird, sondern kurzfristig nur
kaschiert.“ Alle seriösen Prognosen rechneten für 2026 mit einem realen Anstieg
des Zusatzbeitrags von derzeit 2,9 auf mindestens 3,2 Prozent, sagt Dahmen. „Für
Millionen Beitragszahlende bedeutet das faktisch einen relevanten Nettoklau aus
ihrem Portemonnaie.“
Zweitens: Die geplanten Einsparungen bei den Krankenhäusern
in Höhe von 1,8 Milliarden Euro gelten unter Experten grundsätzlich als sinnvoll
– schließlich entfällt der größte Posten der Kassenbeiträge auf die stationäre
Versorgung. Vereinfacht gesagt sollen künftig die Abrechnungen
der Kliniken mit den Kassen nicht stärker steigen dürfen als die vom
Statistischen Bundesamt ermittelte Kostensteigerung im Krankenhauswesen
insgesamt.
Zweckentfremdung des Sondervermögens
Allerdings rief der Vorschlag
trotzdem erhebliche Irritationen hervor. Denn erst in der vergangenen Woche hat
Warken einen gegenteiligen Anreiz gesetzt: Das Kabinett beschloss, den
Krankenhäusern rund vier Milliarden Euro aus dem schuldenfinanzierten
Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz auszuzahlen – genannt
„Soforttransformationskosten“.
Hinter dem schönen Begriff
verbirgt sich eine pauschale Unterstützung aller Kliniken per Gießkanne. Der
Auszahlungsmechanismus ist so gewählt, dass er für die Krankenhäuser den Anreiz
erhöht, künftig besonders viele Eingriffe vorzunehmen. Dabei soll die kürzlich
angepasste Krankenhausreform die Anzahl der Leistungen eigentlich reduzieren,
vor allem, wenn sie medizinisch fragwürdig sind.
Der Bundesrechnungshof
kritisiert den Geldsegen: Es bestehe die Gefahr, „dass die strikte
Zweckbindung des Sondervermögens ausschließlich für Investitionen durch diese
Konstruktion unbemerkt durchbrochen wird“, teilten die Rechnungsprüfer bereits
im August in einem Bericht an den Haushaltsausschuss mit. Es handele sich
letztlich um eine flächendeckende Subventionierung der gesamten
Krankenhauslandschaft.
Nun sollen bei den Kliniken
gleichzeitig 1,8 Milliarden Euro gekürzt werden. Das erweckt den Eindruck, als
gebe es eine Umschichtung aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen hin zur
gesetzlichen Krankenversicherung, um die Beiträge stabil zu halten. Paula
Piechotta, Haushaltspolitikerin der Grünenbundestagsfraktion warnt, Warken gefährde so das
Ansehen der deutschen Finanzpolitik bei den internationalen Anlegern, die
Deutschland Schulden gewähren.
Uneinigkeit bei Zuzahlungen für Patienten
„Wenn sich bei diesen die Erkenntnis durchsetzt, dass
Deutschland mit Milliardenschulden Löcher in den Sozialversicherungen stopft,
statt wettbewerbsfähiger zu werden, werden die internationalen Anleger höhere
Zinsen von Deutschland fordern“, warnt Piechotta.
Drittens:
Auffällig
ist, in welchen Bereichen Warken nicht spart: etwa bei der
Pharmaindustrie. Dabei sind sich Experten und Krankenkassen einig, dass bei
Arzneimitteln die Ausgaben im internationalen Vergleich unverhältnismäßig hoch
sind. Auch die SPD ist in diesem Bereich offen für Sparmaßnahmen, etwa in Form
eines höheren Herstellerrabatts für patentgeschützte Arzneimittel.
Doch
Warken hat hierzu nichts durchgesetzt, offenbar, um aus ihrer Sicht die
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Pharmafirmen nicht zu schwächen. Zurückhaltend
bleibt die Koalition auch bei einer stärkeren Belastung der Patienten:
Ursprünglich kursierte der Vorschlag, Versicherte etwa mit höheren Zuzahlungen
bei Medikamenten und Krankenhausbesuchen stärker finanziell zu beteiligen.
Doch
gegen diesen Vorstoß wehrte sich wiederum die SPD, die mahnte, dass „Gesundheit
keine Frage des Geldbeutels“ werden dürfe, wie es Generalsekretär Tim
Klüssendorf formulierte. So blieben am Ende vor allem die Sparideen, die in der
Koalition weitgehend unstrittig sind – und damit auch weit entfernt von großen,
mutigen Reformideen.
„Ich finde es problematisch, wenn
bei Kostendämpfungsrunden nur einzelne Sektoren rausgegriffen werden“,
kritisiert Ökonom Wasem das Sparpaket. Bei den Versicherten sei das letzte Mal
2004 die Selbstbeteiligung erhöht worden. „Seitdem sind die Löhne stark
gestiegen, entsprechend sollte auch die Selbstbeteiligung steigen. Dass diese
Sparmaßnahme erst mal vom Tisch ist, halte ich für einen Fehler.“
Schon am Mittwoch soll Warkens
Paket vom Kabinett beschlossen werden. Die Einigung kommt auf den letzten Metern: Am selben Tag
trifft sich der sogenannte Schätzerkreis, ein Gremium, das die
voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben der Krankenversicherung für das
kommende Jahr berechnet und auf dieser Grundlage den durchschnittlichen
Zusatzbeitrag 2026 empfiehlt.
Nun
besteht die Sorge, dass sich der Schätzerkreis – womöglich auch auf Druck des
Gesundheitsministeriums – zu einer günstigen Prognose hinreißen lassen könnte,
die sich dann im Laufe des Folgejahres als falsch herausstellt. Es wäre nicht
das erste Mal: Schon in den vergangenen zwei Jahren wurde die Schätzung deutlich
zu optimistisch gerechnet.