
Keine
Ahnung, wie es um das britische Eishockey steht, aber gute fünf Minuten vor dem
Ende begannen die nordirischen Fußballer mit dem Powerplay. Der Ausgleich schien für sie absolut
möglich. Sie drängten die Deutschen hinten rein; die schossen die Bälle nur noch
aus der Gefahrenzone. Einen gleich auf die Tribüne. In der 88. Minute
verhinderte Oliver Baumann den Ausgleich, indem er nach links unten abtauchte. Nicht
seine erste Parade an diesem Abend. Kurz darauf blockte Jonathan Tah einen Schuss
mit dem Kopf. Und am Ende kam für eine letzte Ecke auch noch der Torwart Bailey
Peacock-Farrell nach vorne. Aber Offensivfoul. Das war’s.
Zum Glück
für die deutsche Nationalelf hatte der Schiedsrichter Jesús Gil Manzano nur bescheidene
zwei Minuten Nachspielzeit gegeben, was der nordirische Trainer Michael O’Neill
hinterher als ridiculous bezeichnete – lächerlich. Die inzwischen nicht mehr unüblichen
zehn Minuten hätten die Deutschen vielleicht nicht gegentorlos überstanden. So aber
gewannen sie 1:0 in Belfast. Ein hart erkämpfter Auswärtssieg.
O’Neill,
der zum 100. Mal die Nationalmannschaft Nordirlands trainierte, sprach von
einer schmerzhaften Niederlage. „Wir sind enttäuscht“, sagte er. Weil er genau wie die Fans im Windsor Park wusste, dass an diesem Abend nicht nur die individuell deutlich schwächere, sondern auch die unglücklichere Mannschaft verloren hatte. Der
Bundestrainer Julian Nagelsmann sagte, er sei mit dem Ergebnis zufrieden. Der
Rest, das Wie dieses Auswärtssieges, war für die Deutschen an diesem Abend zweitrangig.
Die gute Nachricht aus deutscher Sicht: Die Nationalelf, die mit einer bösen Niederlage in der Slowakei in die WM-Qualifikation gestartet
war, hat es wieder selbst in der Hand, ob sie 2026 in Kanada, Mexiko und
den USA dabei ist. Mit Siegen im November gegen Luxemburg und die Slowakei wäre das sicher.
Erfolgreich
war die Auswärtsfahrt auf die Insel also. Schön anzusehen war’s aber mal wieder nicht. Das ist die schlechte Nachricht.
Nagelsmann wurde einen umstrittenen Kommentar nicht mehr los
Etwa zwei
Jahre hatten die Nordiren nicht mehr verloren im Windsor Park. Die knapp 18.000
Fans sorgten für eine Stimmung, wie man sie selten erlebt bei einem Länderspiel
in Europa. Ab 30 Minuten vor dem Spiel, als der Stadion-DJ unter anderem Sweet
Caroline und Bitter Sweet Symphony auflegte, war Remmidemmi.
Für ein
bisschen Zusatzmotivation hatte unfreiwillig Julian Nagelsmann gesorgt. Nach dem
3:1-Sieg im Hinspiel hatte der Bundestrainer in der BBC über die vielen
langen Bälle der Nordiren gesprochen. Was er da sagte, empfanden in Nordirland manche
als Beleidigung: „Diese Art von Fußball ist nicht besonders schön anzusehen,
aber sie ist effektiv und nicht so einfach zu verteidigen.“ Vor dem Rückspiel sagte Nagelsmann zwar, das sei wertschätzend und nicht respektlos gemeint
gewesen, aber da hing sein Spruch wahrscheinlich schon in der nordirischen
Kabine.
Klar, wie Deutschland
in der 14. Minute beinahe in Rückstand geriet – durch einen langen
Ball. Einen Freistoß aus der nordirischen Hälfte bekamen die Deutschen mehrfach
nicht geklärt, irgendwann war der Ball ins Tor gestochert. Wer weiß, wie dieses
Spiel gelaufen wäre, hätte kein Nordire im Abseits gestanden.
Anschließend bekam Deutschland das Spiel ein
bisschen besser in den Griff. Das heißt, Deutschland hatte die meiste Zeit den
Ball, am Ende fast 70 Prozent der Zeit. Was Deutschland nicht hatte, waren
große Chancen. Mal wieder nicht. Schon gegen das Leichtgewicht Luxemburg fielen
drei von vier Toren nach Standards. Offensiv war Deutschland vor einem Jahr
deutlich gefährlicher als aktuell.
Woltemade traf sein erstes Tor im Länderspiel
Und was
machte der neue deutsche Superstar Nick Woltemade? Er traf! Sein
erstes Tor im sechsten Länderspiel. Bei einer Ecke ragte er hervor wie ein Turm
unter einstöckigen Häusern. 21 Zentimeter ist er größer als Isaac Price, der Woltemade
am Kopfball hindern sollte. Das gelang tatsächlich, Woltemade traf den Ball mit
der Schulter. Sein erstes Tor für Deutschland ist ein
Glückstreffer. Und schon wieder ein Standardtor.
Die beste
Chance zum 2:0 hatte Karim Adeyemi gleich nach der Halbzeit. Bei einem Konter
lief er seinem Gegner davon – selten war ein Qualitätsunterschied
offensichtlicher –, allein vor dem Tor schoss er aber links vorbei. Auch das ist
die aktuelle deutsche Nationalelf: Sie kriegt die Spiele auch dann nicht tot,
wenn sie beste Chancen dazu hat.
So blieb
es knapp. Und so merkten die Heimfans spätestens nach einer Stunde, dass gegen
diese deutsche Mannschaft Punkte nicht unmöglich sind. Im Gegenteil: Bei ihr hat
man beständig das Gefühl, dass noch irgendwas schiefgehen könnte.