
Der Tisch mag reichlich gedeckt sein, die Rezepte für die dargebotenen Köstlichkeiten fallen jedoch sparsam aus. „Milch, Eier, Zucker, Salz und Zitronenschale verquirlen“, heißt es etwa im Klassiker „Das elektrische Kochen“ für „Arme Ritter“. So nüchtern geht es weiter: „Weißbrot darin eintauchen, in Paniermehl wenden“ und „Fett erhitzen, Brot einlegen, von beiden Seiten goldgelb backen“. Bei üppigen Speisen bleibt die Wortwahl ebenfalls karg. Moderne Kochbücher gehen selten über Beipackzettel-Prosa hinaus, es sei denn, Promi-Köche mit eigener Produktreihe schwärmen von sich und ihren Angeboten.
Im Englischen könnte man ähnlich dürftige Sprachkost vermuten. „Man würde eigentlich erwarten, dass englische Kochrezepte keine Personalpronomen wie ‚I‘ oder ‚you‘ enthalten“, sagt Christina Sanchez-Stockhammer, Sprachwissenschaftlerin an der TU Chemnitz.
So heißt es zum Beispiel „Add potatoes and cover with salted water“. Das liege daran, dass Aufforderungssätze das mitgedachte „you“ am Satzanfang weglassen und englische Kochrezepte beim Wiederaufgreifen einer Zutat wie „potatoes“ auf das sonst übliche „them“ verzichten.
„Wer ein Kochrezept ins Netz stellt, möchte Freude am Geschmack teilen.“
Doch in einer Untersuchung von 280 Kochrezepten aus dem Internet ermittelte die Linguistin, dass der Anteil an Personalpronomen in der Einleitung zu Rezepten sogar höher lag als in der englischen Sprache insgesamt. Dies liege Sanchez-Stockhammer zufolge daran, dass die Einleitung häufig die persönliche Beziehung der Autoren zu dem Gericht schildert – etwa die Geschichte der eigenen Großmutter, die immer ein besonderes Essen zubereitet hat.
„Nutzer englischsprachiger Online-Foren beklagen oft, dass man erst ‚Romane‘ durchlesen müsse, um zum eigentlichen Rezept vorzudringen“, so die Linguistin. Die persönliche Gestaltung von Kochrezepten sei allerdings kein neues Phänomen: So entdeckte die Forscherin, dass die Verfasser eines australischen Kochbuchs bereits 1864 bei Apfelklößen ins Schwärmen gerieten („We hardly know anything better“).
„Kochrezepte stecken voller Emotionen. Sie sind nun mal keine reinen Gebrauchsanweisungen – zumindest im englischen Sprachraum“, sagt Sanchez-Stockhammer. „Wer ein Kochrezept ins Netz stellt, möchte Freude am Geschmack teilen und anderen ermöglichen, ein leckeres Gericht nachzukochen. Bei dieser Kommunikation helfen Personalpronomen, eine Beziehung zwischen allen Beteiligten herzustellen.“ Titel wie „Omas Käsekuchen“ oder „Susis Salatdressing“ sollen zudem das Vertrauen in den Autor stärken. Heißt ein Rezept „Auflauf-Traum“ oder „Weltbeste Cookies“ scheint der perfekte Genuss garantiert zu sein.
Kochrezepte sind geprägt von sprachlichen Eigenheiten. So werden im Griechischen oft Diminutive benutzt, vermutlich aus Sorge um die richtige Menge. Objekte werden in Rezepten häufig weggelassen, weil es bei Anweisungen wie „mit Wasser bedecken“ offensichtlich ist, dass die zuvor erwähnten Kartoffeln gemeint sind. Im Englischen sind Imperative üblich, im Deutschen Infinitive – „Pfifferlinge putzen“ heißt es dann. In Deutschland fühlt man sich offenbar auch schnell als Meister seines Fachs, sobald man in einer Schüssel rührt. Wie sonst wäre der Erfolg einer Website zu erklären, die sich „chefkoch.de“ nennt?