Hunde-Spielsucht: Wissenschaftliche Studie bestätigt Verhaltensauffälligkeiten – Wissen

Es ist so eine Frage, die sich aufdrängt, wenn man im Stadtpark spazieren geht. Warum tun sie das, wenn sie nicht gerade Passanten ankläffen, Artgenossen inspizieren oder an einer Leine zerren. Scheinbar unermüdlich rennen sie Bällen oder Stöckchen hinterher, die von ihren Menschen weit weggeworfen werden. Dabei genügt es ihnen nicht, das Objekt einmal zurückzubringen. Sie betteln vielmehr darum, dass der Mensch erneut wirft, immer und immer wieder. Man fragt sich: Hunde, wollt ihr ewig spielen?

Die Antwort lautet zumindest bei einigen von ihnen: ja!

Schon länger nutzen Laien den Begriff „Balljunkies“ für Hunde, die vom Spielen nicht lassen wollen, die ohne Ball, Plüschtier oder sogenanntes Zerrobjekt unruhig und gestresst sind, laut jammern und winseln, kurz: Entzugserscheinungen zeigen. Es ist ein Phänomen, das jetzt in einer ersten Studie auch die Wissenschaft bestätigt. Wie ein Forscherteam um die Verhaltensbiologin Stefanie Riemer von der Vetmeduni Wien und die Tierärztin  Alja Mazzini von der Universität Bern im Fachmagazin Scientific Reports berichtet, zeigt sich in Labor-Experimenten „eine hohe Tendenz für suchtähnliches Verhalten“, so nennt es Riemer.

Für ihre Studie hatten die Forscher mithilfe einer Social-Media-Umfrage 56 männliche und 49 weibliche Hunde im Alter von zwölf Monaten bis zehn Jahren zum Experiment geladen. Einige davon wurden bereits von ihren Haltern und Halterinnen als spielwütig bezeichnet. Bei insgesamt 33 Tieren, also rund einem Drittel der Tiere, fanden sich Hinweise auf ein Spielproblem. Aufgrund einer weiteren Fragebogenstudie unter 1600 Haltern schätzen die Forscher, dass etwa drei Prozent aller Hunde zu suchtähnlichem Verhalten neigen, „übrigens eine ähnliche Quote wie bei Verhaltenssüchten unter Menschen“, sagt Riemer.

Mit roher Beißgewalt eroberte der Schäferhund sein geliebtes Plüschtier zurück

Bei den diagnostizierten Tieren jedenfalls zeigten sich Symptome, wie man sie ähnlich auch bei Menschen mit pathologischem Spielverhalten findet: Die Hunde waren völlig fixiert auf ihr Spielzeug. Wenn es weggeschlossen wurde, machten sie große Anstrengungen, um an dieses heranzukommen, sie ließen sich weder von Futter noch vom Halter ablenken. Noch nach einer Viertelstunde zeugte ein stark erhöhter Puls von ihrer Aufregung. In einem online veröffentlichten Video zeigen die Forscher, wie ein verzweifelter Belgischer Schäferhund mit roher Beißgewalt einen verschlossenen Plastikkorb aufbricht, um sein geliebtes Plüschtier zurückzuerobern.

Um sein Plüschtier zurückzubekommen, zerstörte der Belgische Schäferhund einen Plastikkorb.
Um sein Plüschtier zurückzubekommen, zerstörte der Belgische Schäferhund einen Plastikkorb. (Foto: Alja Mazzini)

Die neuen Ergebnisse sind auch deshalb interessant, weil sie möglicherweise Einblick geben in die Evolution von Suchtverhalten. Während seit Langem bekannt ist, dass viele Tiere selbst in der freien Wildbahn Rauschmittel konsumieren, etwa Alkohol aus überreifen Früchten, gab es bisher kaum Hinweise auf Verhaltenssüchte. Nur im Labor ließ sich bislang bei Mäusen und Ratten durch Zucht und Konditionierung so etwas wie eine Sportsucht erzeugen. Die Nager rannten dann so exzessiv in einem Hamsterrad, dass sie Nestbau und Schlaf vernachlässigen.

Bei den Hunden scheinen die Gene besonders stark zur Suchtgefährdung beizutragen. „Die Schäferhunde haben da mit Abstand die höchsten Scores“, sagt Riemer. Das sei aber auch naheliegend, weil sie als typische Arbeitshunde auf ein solches Verhalten hin selektiert wurden. „Sie sollen hoch motiviert sein, beharrlich und schnell reagieren“ erläutert die Wissenschaftlerin. „In der modernen Schutzhundeausbildung lernt der Hund, dass das alles total Spaß machen soll.“ Wenn etwa ein Hund darauf trainiert wird, in einen Ärmel zu beißen, dann sei das nichts anderes als ein Riesenzerrspielzeug für ihn. „Doch manchmal gerät er in den Exzess und kann gar nicht mehr aufhören.“

Offene Fragen sind noch mögliche Wege aus der Sucht: „Soll man Selbstkontrolle und Frustrationstoleranz generell fördern oder eher schrittweise vom exzessiven Spiel entwöhnen?“ In Zukunft möchte Riemer zudem zu ADHS bei Hunden forschen, gekennzeichnet durch Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit.