„A House of Dynamite“ von Kathryn Bigelow

Wenn einen die Spannung in den Kinosessel drückt, bleibt immer noch die Rückversicherung: Das ganze ist Fiktion! Anders wird es schon bei der – oft als Thrill missbrauchten – Ankündigung: „Basierend auf einer wahren Geschichte“. Aber was gilt für Kathryn Bigelows „A House of Dynamite“?

Es ist ein Thriller, dessen Grundgeschichte jeder kennt: Jemand hat eine Zeitbombe gelegt, der Countdown läuft – und es ist die Frage, ob man den Wahnsinn noch stoppen kann. So einen tödlichen Countdown hat Bigelow bereits im oscar-gekrönten „The Hurt Locker“ 2008 nervenzerreißend durchgespielt. Aber dabei ging es um die Entschärfung von Bomben durch eine Spezialeinheit im Irakkrieg – also zynisch gesagt nur um ein paar nervenstarke Typen. In „A House of Dynamite“ geht es um die ganze Welt.

Kyle Allen als Captain Jon Zimmer im Abfangjäger.
Kyle Allen als Captain Jon Zimmer im Abfangjäger.
© Eros Hoagland/NETFLIX
Kyle Allen als Captain Jon Zimmer im Abfangjäger.

von Eros Hoagland/NETFLIX

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Die „wahre Geschichte“ ist, dass – nach allen Abrüstungsschritten der 80er und 90er-Jahre von einem Niveau von global 70.000 Atomsprengköpfen – sich die Richtung gerade wieder umgedreht hat: Die USA verfügen über ein Arsenal von über 5000 Atomraketen. Russland ebenfalls. China spielt als atomarer Machtfaktor längst auch mit, ebenso Indien und Pakistan, und in Nordkorea vermutet man immerhin 50 Atomsprengköpfe: ein Gesamt-Arsenal, das für einen zigfachen Overkill, also die Vernichtung der Menschheit, reichen würde.

Das eigene Atomarsenal wird gezündet

„A House of Dynamite“ spielt aus drei Perspektiven (Militärbasis im Nahen Osten, hohe Angestellte im Pentagon und die Umgebung des US-Präsidenten) eine Situation bis „Defcon 1“ durch: die höchste US-Alarmstufe, bei der man sich dann verabschieden muss, weil nur noch ein paar „Happy Few“ in Spezialbunker gebracht werden. Das eigene Atomarsenal wird gezündet.

Drei Mal erlebt man in Echtzeit Entscheidungsprozesse und persönliche Erlebnisse, nachdem das satelliten-gestützte US-Warnsystem anzeigt, dass eine Atomrakete in Richtung USA abgefeuert wurde. Der Ursprung? Unklar. Sie scheint von irgendeinem U-Boot im Pazifik abgegangen zu sein. Zwei Versuche, sie mit Abfangraketen zu zerstören, scheitern. Die Zerstörung Chicagos ist unvermeidbar geworden, was einem fast 3000-fachen 9/11 entspricht.

Regisseurin Kathryn Bigelow posiert für Fotografen auf dem roten Teppich für den Film „A House of Dynamite““ während der 82. Ausgabe der Filmfestspiele von Venedig.
Regisseurin Kathryn Bigelow posiert für Fotografen auf dem roten Teppich für den Film „A House of Dynamite““ während der 82. Ausgabe der Filmfestspiele von Venedig.
© picture alliance/dpa/Invision/AP
Regisseurin Kathryn Bigelow posiert für Fotografen auf dem roten Teppich für den Film „A House of Dynamite““ während der 82. Ausgabe der Filmfestspiele von Venedig.

von picture alliance/dpa/Invision/AP

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Es bleiben noch zwanzig Minuten für einen möglichen Gegenschlag. Aber was heißt das? China, Nordkorea oder Russland sind verdächtigt. In der irrsinnig nervösen Situation haben auch alle anderen bereits ihre Arsenale in Kampfbereitschaft versetzt.

Kein Actionfilm

Auch wenn man als Zuschauer in einer realen Thriller-Situation gefangen ist, sitzt man in „A House of Dynamite“ nie in einem Action-Film, sondern in einer Art beklemmenden „Dokumentation“ eines möglichen Szenarios. Im Film sitzt zwar kein irrational größenwahnsinniger im US-Präsidentensessel und damit am „Roten Knopf“ im Atomköfferchen, sondern eine Art Ersatz-Obama (Idris Elba). Nur, was ändert das? Rebecca Ferguson wiederum spielt eine Spezialistin für Militärstrategie und Krisenstabs-Vorsitzende – auch sie eine eher deeskalierende Frau. Nur was kann sie verändern in einem fast automatisierten, hierarchischen Ablauf?

Hat sich der Filmstresstest beim Zuschauer nach dem Abspann etwas verflüchtigt, bemerkt man auch ein paar Schwächen beim dreimaligen Ansetzen der letzten 20 Minuten der Menschheit. Denn die drei Ansätze ereignen sich alle innerhalb des militärisch-politischen Komplexes und ähneln sich zu stark. Es fehlt die Wirklichkeit eines ganz normalen Bürgers.

Eine US-Atomraketenbasis im Nahen Osten ist der dritte Schauplatz.
Eine US-Atomraketenbasis im Nahen Osten ist der dritte Schauplatz.
© Eros Hoagland/Netflix
Eine US-Atomraketenbasis im Nahen Osten ist der dritte Schauplatz.

von Eros Hoagland/Netflix

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Dennoch hinterlässt der Film eine intensiv spürbare Botschaft: Abrüsten und Wandel durch Annäherung, damit das, was zwischen Ost und West ein einigermaßen gutes Ende fand, jetzt noch einmal versucht wird. Nur wer soll das versuchen in unserer noch komplexeren Welt: Donald Trump, ein uneiniges Europa mit Putin, Xi Jinping und dem kleinen Irren Kim Jong-un auf der Gegenseite?

Kino: City, Mathäser, Monopol
R: Kathryn Bigelow (USA, 112 Min.)