Frankreichs Regierungskrise: Mit linkem Premierminister Neuwahl vermeiden?


Frankreich steuert auf eine politische Lösung zu, die keine vorgezogene Parlamentswahl erfordert. Mit dieser Zwischenbilanz hat sich der geschäftsführende französische Premierminister Sébastien Lecornu am Mittwoch nach intensiven Verhandlungen mit den politischen Kräften an die Öffentlichkeit gewandt. Es gebe bei allen politischen Gruppierungen einen Willen, bis zum Jahresende einen Haushalt zu verabschieden. Zum angestrebten Haushaltsdefizit äußerte er, es müsse zwischen 4,7 und fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen.

Damit deutete er weniger Einsparungen als die 44 Milliarden Euro an, die sein gestürzter Vorgänger François Bayrou angestrebt hatte. „Dieser Wille schafft natürlich Bewegung und eine Annäherung“, sagte Lecornu bei einer Ansprache im Innenhof seines Amtssitzes. Bislang hat der geschäftsführende Regierungschef nur mit den Verantwortlichen des kriselnden Mitte-rechts-Bündnisses verhandelt. Er sagte, dass das Ergebnis „die Aussicht auf eine Auflösung der Nationalversammlung in die Ferne rückt“. Lecornu bestätigte, dass er das abschließende Verhandlungsergebnis am Mittwochabend Präsident Emmanuel Macron mitteilen wird. Der Präsident hatte Lecornu eine Frist bis Mittwochabend gesetzt.

Die Bedingung der Sozialisten

Im Verlauf des Vormittags wollte Lecornu mit den Sozialisten und den Grünen verhandeln. In Paris wird über die mögliche Nominierung eines linken Premierministers spekuliert, seit die „Mutter der Rentenreform“, die frühere Premierministerin Elisabeth Borne, vorgeschlagen hat, diese bis zu der Präsidentenwahl 2027 auszusetzen.

„Seit jeher sind Renten in unserem Land ein sehr sensibles Thema“, sagte Borne der Zeitung „Le Parisien“. Man dürfe die Rentenreform nicht zu einem „Tabuthema“ machen. „Wenn dies die Voraussetzung für die Stabilität des Landes ist, müssen wir die Modalitäten und konkreten Folgen einer Aussetzung prüfen“, schlug sie vor. Der geschäftsführende Finanz- und Wirtschaftsminister Roland Lescure sagte am Mittwochmorgen, eine Aussetzung der Rentenreform werde „Hunderte Millionen im Jahr 2026 und Milliarden im Jahr 2027 kosten“.

Die Sozialisten haben die Aussetzung der Rentenreform als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung aufgestellt. Die sozialistische Präsidentenhoffnung Raphaël Glucksmann sagte am Dienstagabend nach einem Gespräch mit Lecornu: „Die Aussetzung der Rentenreform war vor einigen Tagen noch unmöglich, heute wird sie möglich.“ Lecornu habe die Tür zu einem Kompromiss geöffnet.

Attal als Bindeglied zur Linken

Es hält sich in Paris das Gerücht, dass der ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger zum nächsten Premierminister einer Mitte-links-Koalition bestimmt werden könnte. Der 56 Jahre alte Berger zählt zu den gemäßigten Sozialdemokraten und hatte vergeblich versucht, bei den Rentenprotesten zu vermitteln. Die Generalsekretärin der Gewerkschaft CGT, Sophie Binet, begrüßte die in Aussicht gestellte Suspendierung. „Die Kehrtwende ist ein Eingeständnis: Die Rentenreform ist gescheitert“, sagte Binet. Die Generalsekretärin der Gewerkschaft CFDT, Marylise Léon, sprach von einem positiven Signal.

Treibende Kraft für eine Annäherung an die Linke ist der ehemalige Premierminister Gabriel Attal. Nach einem Fernsehinterview beim Fernsehsender TF1 soll Attal noch längere Zeit mit dem Sozialisten Olivier Faure und der Grünen Marine Tondelier in einer Loge diskutiert haben.

Der sozialistische Parteivorsitzende Olivier Faure dämpfte nach seinem Gespräch mit Lecornu den Optimismus. „Wir haben keine Gewissheit, dass die Aussetzung der Rentenreform tatsächlich erfolgen wird“, kritisierte er. Es sei unvorstellbar, dass die Sozialisten eine Regierung mit dem Macron-Lager bildeten, fügte Faure hinzu. Faure sagte zuvor, dass „die Zeit gekommen ist, nach links zu gehen“, nachdem man es vergeblich mit drei aufeinanderfolgenden Premierministern aus dem Mitte-rechts-Lager versucht habe. Der Vorsitzende der Republikaner (LR), Bruno Retailleau, sagte dagegen, er werde „sicherlich nicht in eine Regierung zurückkehren, die von einem Mann der Linken“ geführt werde.