
Durch die Niederlage in der Slowakei hat die Nationalmannschaft in der Gunst der Fans gelitten. Zwar will Andreas Rettig, DFB-Geschäftsführer Sport, nichts von einem Ende des Hypes wissen. Dem Ernst der Lage in der WM-Qualifikation ist er sich aber bewusst.
Schon jetzt schwirrt im Hinterkopf von Andreas Rettig die Suche nach einem Quartier für die WM im kommenden Jahr. Es werde eine „Herkulesaufgabe“, sagt der DFB-Geschäftsführer Sport angesichts der weiten Wege beim Turnier in den USA, Kanada und Mexiko. Ob er die Aufgabe aber überhaupt angehen muss, steht indes längst nicht fest. Nach der Niederlage gegen die Slowakei (0:2) im September besteht bei der Nationalmannschaft im Hinblick auf die WM-Qualifikation Aufholbedarf.
Frage: Herr Rettig, Bundestrainer Julian Nagelsmann und sein Trainerteam zeigten sich in dieser Saison deutlich öfter als zuvor in Stadien. Gefällt Ihnen diese neue Präsenz?
Andreas Rettig: Ich hatte bisher keinen Zweifel am Engagement unseres Bundestrainers und seines Teams. Seit Beginn dieser Saison war das Trainerteam bei 21 Spielen vor Ort. Sie müssen nichts nachweisen, die Qualität von Julians Arbeit hängt nicht davon ab, ob er ein-, zwei- oder dreimal im Monat im Stadion ist.
Frage: Der Hype um die Nationalmannschaft war bei der Heim-EM groß, flachte danach aber wieder ab. Wie erhält man die Lust auf die DFB-Elf?
Rettig: Es lief 2025 auch nicht alles schlecht. Und es ist auch nicht ungewöhnlich, dass die Begeisterung in Jahren zwischen den Turnieren etwas abflacht. Aber das Slowakei-Spiel hat nachgewirkt, das kann man nicht schönreden. Wir wollen wieder auf den Weg kommen, den wir ein bisschen verlassen haben: durch überzeugende Spiele. Der „Hype“ ist dennoch nicht vorbei: Es gibt eine andere Beziehung zwischen Fans und Mannschaft – das zeigt sich beispielsweise bei den Auswärtsspielen in diesem Jahr sehr eindrucksvoll. In Mailand haben wir im März mit 3500 Fans im Block einen neuen Auswärtsrekord aufgestellt. Die Stimmung war fantastisch. Auch in Bratislava, Belfast und Luxemburg waren die Tickets direkt vergriffen. Und gerade deswegen müssen wir den Kredit, den wir gerade etwas verspielen, wieder zurückgewinnen.
Frage: Um bei der Auslosung für die WM 2026 als Gruppenkopf gesetzt zu sein, muss Deutschland in der Weltrangliste in die Top 9 kommen. Wie sehr schmerzt in diesem Hinblick die Niederlage in der Slowakei, Deutschland rutschte zuletzt auf Rang 12 ab?
Rettig: Deswegen spreche ich diese Niederlage an: Das sind die negativen Auswirkungen. Wir streben weiter an, in Topf 1 zu kommen, das ist unser Ziel. Aber wir haben es nicht mehr in unserer Hand. Wir dürfen uns keinen Ausrutscher mehr erlauben.
Frage: Wichtig für den sportlichen Erfolg ist Florian Wirtz. Karl-Heinz Rummenigge betonte zuletzt in „Sport Bild“, Wirtz wäre besser zum FC Bayern als zu Liverpool gewechselt. Wie denken Sie darüber, zumal sich Deutschlands Fußballer des Jahres bislang schwertut?
Rettig: Aus Sicht eines Vereinsvertreters kann ich die Aussage über einen der besten deutschen Spieler verstehen, wenn der Spieler nicht zum eigenen Klub kam und man ihm eine Träne nachweint. Eines ist doch klar: Florian wird sich in Liverpool durchsetzen, da gibt es keine Diskussion. Bei einem Spieler seiner Qualität kann keiner ernsthaft sagen, dass er sich nicht durchsetzt.
Frage: Die WM-Auslosung findet am 5. Dezember in Washington statt. Wie wichtig ist die Quartier-Auswahl beim Turnier in den USA, Kanada und Mexiko – und wie schwierig?
Rettig: Die Quartier-Auswahl ist eine Herkulesaufgabe, die man nur im Team schaffen kann. Das Basecamp spielt eine wesentliche Rolle. Wir bereiten uns so gut und professionell vor, dass wir nach der erfolgreichen Qualifikation und der Auslosung, wenn wir wissen, wo es hingeht, auf Knopfdruck sagen können: Das sind unsere Optionen A, B, C, D, E. Aber das korrespondiert auch mit Topf 1 und 2, diese Unsicherheit macht die Suche komplizierter.
Frage: Was wird bei der WM 2026 der größte Gegner: das Wetter, die Reisen oder die politische Gemengelage mit Präsident Donald Trump?
Rettig: Die klimatischen Bedingungen werden für alle herausfordernd. Aber schon im Vorfeld vor allem Probleme zu sehen, ist kein guter Nährboden für Erfolg. Wir wollen eher darauf schauen, wie wir antizipieren und die besten Bedingungen schaffen können. Ansonsten: Ich sehe mich nicht in der Lage, Empfehlungen zu geben, wie der amerikanische Präsident sein Land zu führen hat.
Frage: Der Bundestrainer hat in seinem Vertrag bis 2028 eine „Reißleinen“-Klausel, wonach der DFB den Vertrag vorzeitig kündigen kann, wenn Deutschland bei der WM in der Vorrunde ausscheiden oder sich nicht für das Turnier qualifizieren sollte. Aber auch der Bundestrainer besitzt eine Ausstiegsklausel, die er ziehen kann. Warum sind diese Absicherungen wichtig?
Rettig: Zu Vertragsinhalten möchte ich mich nicht äußern. Nur so viel: Wir haben für beide Seiten einen fairen und leistungsbezogenen Vertrag abgeschlossen. Wenn Julian Nagelsmann und das Trainerteam erfolgreich sind, lohnt sich der Blick auf den Gehaltszettel auch.
Frage: Ihr Vertrag läuft noch bis 2028. Wie blicken Sie auf Ihre eigene Zukunft?
Rettig: Ich fühle mich nach wie vor sehr fein mit meiner Vertragslaufzeit. Ein Vorstand in einer AG darf gar nicht mit mehr als mit einem Jahr Restlaufzeit verlängert werden. Wenn selbst das Aktienrecht eine solche Hürde aufwirft, dann hat man sich schon etwas dabei gedacht. Ich denke, dass wir keinen Handlungsdruck verspüren.
Der Text wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und zuerst in der „Sport Bild“ veröffentlicht.