Debatte über Machtstrukturen gefordert: Kunst in Osnabrück streng begrenzt

Osnabrück taz | Mit einem Offenen Brief haben 600 Kulturschaffende aus ganz Deutschland eine politische Debatte über die Entscheidungs- und Arbeitsstrukturen am Osnabrücker Theater gefordert. „Nur so lässt sich weiterer Schaden vom Theater und dem Kulturstandort Osnabrück abwenden“, heißt es in dem Schreiben, das am Montagabend veröffentlicht wurde. Damit erreicht die Auseinandersetzung um den Intendanten Ulrich Mokrusch eine neue Stufe – und weist zugleich politisch über den Auslöser hinaus.

Ende August hätte die Inszenierung „Ödipus Exzellenz“ die Spielzeit des Hauses eröffnen sollen. Aber das Team um Regisseur Lorenz Nolting und Dramaturgin Sofie Boiten wollte in seiner Adaption des antiken Schuld-Stoffs auch die sexualisierte Gewalt thematisieren, vor der das Bistum Osnabrück jahrzehntelang die Augen verschlossen hatte. Erst 2024 hatte die Universität Osnabrück den Abschlussbericht ihres Forschungsprojekts „Betroffene, Beschuldigte, Kirchenleitung. Sexualisierte Gewalt an Minderjährigen sowie schutz- und hilfebedürftigen Erwachsenen durch Kleriker im Bistum Osnabrück seit 1945“ vorgelegt.

Auch die Reinszenierung eines Gottesdienstes hatten Nolting und Boiten vorgesehen. Sie wollten zeigen, wie die Liturgie von den Tätern missbraucht wurde, um ihre Taten zu rechtfertigen. Doch das fand Mokrusch problematisch. Er entließ das Team, cancelte das Projekt wegen „unüberbrückbarer Differenzen“, ließ das Bühnenbild entsorgen. Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) unterstützte ihn dabei: „Kunst darf zur Diskussion anregen, aber es hat eben auch alles seine Grenzen“, sagte sie in der 3sat-Sendung „Kulturzeit“. Die Stadt ist Eigentümerin des Theaters.

Intendant stoppt die Inszenierung

Es folgten Proteste, inklusive einer Demo und Diskussion auf dem Theatervorplatz. Banner wie „Kunstfreiheit statt Kirchenlobbyismus!“ waren zu sehen, Plakate wie „Kein Publikum braucht Schutz vor der Kunst“. Auch Karl Haucke, Betroffener sexualisierter Klerikal-Gewalt und beteiligt an „Ödipus Exzellenz“, kam zu Wort.

Montag hat dann die lokale „Arbeitsgruppe Strukturwandel Kunst und Kultur“ einen Brief an Pötter, die Vorsitzenden der Fraktionen des Osnabrücker Rats und alle Ratsmitglieder veröffentlicht, unterzeichnet von 617 Kunst- und Kulturschaffenden. Auch Ensemblemitglieder des Theaters Osnabrück sind darunter und riskieren damit ihren Job.

„Eine Demokratisierung dieser Institution ist dringend notwendig

Aus dem offenen Brief an politische Vernatwortliche in Osnabrück

Sie sprechen in dem Brief von einem „Skandal“ und gehen hart mit dem Theater ins Gericht: „Eine Demokratisierung dieser Institution ist dringend notwendig.“ Das Theater gehöre „nicht der Intendanz allein“. Sie sei zwar die künstlerische Leitung, aber „ebenso für die Bewahrung der Kunstfreiheit verantwortlich“.

Appell an die politisch Verantwortlichen

Man wolle eine „ernsthafte Auseinandersetzung mit den Strukturen, die hier versagt haben“ und „ein Gespräch anstoßen über neue Formen der Zusammenarbeit, der Beteiligung und Verantwortlichkeit“. Weiter heißt es an die politisch Verantwortlichen gerichtet: „Sie tragen Verantwortung dafür, dass die Integrität künstlerischer Vorhaben geschützt wird, potenziell kontroversen Themen in der Öffentlichkeit Raum gegeben wird und autoritäre Gesten nicht das letzte Wort behalten“.

„Leider ist bisher von den Verantwortlichen wenig zurückgekommen“, sagt Elisabeth Lumme der taz, eine der Initiatorinnen der Arbeitsgruppe. Lummen ist Osnabrücker Künstlerin, Kulturmanagerin und Vorsitzende des Vereins „Kunstraum hase29 – Gesellschaft für zeitgenössische Kunst Osnabrück“. „Es geht ja nicht darum, Mokrusch zu feuern“, sagt sie. „Es geht um eine öffentliche Debatte.“ Mit „Ödipus Exzellenz“ sei die Chance vertan worden, das Thema Klerikal-Missbrauch einem breiten Publikum bewusst zu machen. „Einen Abschlussbericht wie den der Universität Osnabrück lesen ja nicht so viele.“ Es gehe darum, „das Schweigen zu brechen“, sagt Lumme. Das Gegenteil sei geschehen.

In einer Stellungnahme von Osnabrücks Kulturdezernent Wolfgang Beckermann, Brigitte Neumann (CDU) und Heiko Schlatermund (SPD), Vorsitzende des Aufsichtsrates des Theaters, heißt es, nach der Absetzung des Stücks finde am Theater eine „interne Aufarbeitung“ statt. „Der Prozess ist in vollem Gange.“ Man sehe in der Absetzung „weder einen Skandal noch einen Eingriff in die Kunstfreiheit“. Durch immer neue Debattenanstöße werde das Theater „insgesamt in Misskredit gebracht“. Das Theater leiste unter Mokrusch „Großartiges“.

„Das hört sich wie eine Gesprächsverweigerung an“, sagt Lumme. „Offenbar ist es nicht die Absetzung des Stücks, die dem Theater Schaden zufügt, sondern die Kritik daran? Seltsame Sicht.“