Frankreichs Misere wird durch Vertagung nicht besser

Verantwortung für das politische Trauerspiel, das sich in Frankreich in immer neuen Akten vollzieht, tragen viele: vorneweg der Präsident, der im vergangenen Jahr die Mehrheitsbildung in der Nationalversammlung massiv erschwerte. Es folgen Parteien, die kaum zu Kompromissen bereit sind. Schließlich fehlen dem Land Premierminister, die ihrer Aufgabe gewachsen sind. Lecornu, der fünfte seit Macrons Wiederwahl, hielt sich auch nur ein paar Wochen, und er hat sein (vorläufiges?) Scheitern mit einer unklugen Personalie selbst befördert.

Man wird den Eindruck nicht los, dass zu viele Leute in Paris auf Neuwahlen schielen statt sich der ernsten Probleme des Landes anzunehmen. Diese sind bekannt und werden durch Vertagung nicht einfacher zu lösen.

Auch am Montag haben die Finanzmärkte die Politik an deren Haushaltsprobleme erinnert. Wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU und des Euroraums schlechter bewertet wird als Griechenland oder Italien, dann ist das ein Warnsignal. Es sollte nicht nur in Frankreich jedem zu denken geben, der immer noch glaubt, öffentliche Schulden ließen sich unbegrenzt erhöhen.

Formal ist Macron handlungsfähig

In der Eurokrise hatte Europa zu lernen, dass Reformen im Zweifel von den Märkten erzwungen werden. Diese Erfahrung sollte man sich in Paris besser ersparen, auch im Interesse der Partner. Solange der Präsident nicht zurücktritt, bleibt Frankreich in der Außenpolitik formal handlungs­fähig. Aber ohne sanierten Haushalt und eine stabile Regierung kann Macron nicht allzu viel ausrichten. Schon in den vergangenen Jahren blieb die UN-Vetomacht oft unter ihren Möglichkeiten, besonders in der Ukraine.

Frankreichs Misere wird durch das System der V. Republik und eine konfrontative politische Kultur verstärkt, aber ihr Kern ist derselbe wie in vielen westlichen Ländern: eine zunehmende Polarisierung links und rechts, eine handlungsschwache Mitte und eine Überforderung des Staates. Regulär würde in Frankreich wieder 2027 gewählt. Kaum vorstellbar, dass es bis dahin so weitergeht wie bisher.