Das Beste – und Schlechteste – von der Paris Fashion Week

Valentino

Natürlich sieht das hier alt aus – das ist ja das Neue! Alessandro Michele läuft als Liebhaber antiker Kunst und antiquarischer Bücher nicht jedem Trend hinterher. Der Valentino-Designer, der seine siebte Kollektion zeigt, geht immer ans Grundsätzliche. Dieses Mal hat Pamela Anderson ein kleines Michele-Manifest eingelesen, in dem es um Pier Paolo Pasolini geht, den vor 50 Jahren gestorbenen legendären Filmemacher, der den Aufstieg des italienischen Faschismus und seine Bekämpfung beschreibt. Nur die Glühwürmchen seien Hoffnungsschimmer. Ihretwegen lohne es sich, auch in schwierigen Zeiten an die Schönheit zu glauben. „Fireflies“ also heißt die Kollektion.

Die Lichtinstallation an der Decke erinnert erst an Luftkrieg, dann an einen Schwarm Glühwürmchen. Am Ende himmeln die Models mit Blick nach oben die leuchtenden Tierchen an. Wer achtet bei solchen emotionalen Gemeinschaftsmomenten noch auf die Kleider des ehemaligen Gucci-Designers? Sie sind jedenfalls nicht mehr so träumerisch dekoriert wie in den letzten sechs Saisons. Der sonst so kühle Account „Diet Prada“ bekennt: „Am Ende liefen mir die Tränen übers Gesicht.“ Für sie als Amerikanerin habe sich seit dem letzten November viel Angst aufgestaut. Nun wisse sie: „Kunst und Schönheit sind mächtige Waffen im Kampf gegen den Faschismus.“ Die Glühwürmchen, meint sie, solle man nicht verschwinden lassen. Und der Designer sagt nach der Schau fast beschwörend: „Schönheit muss im Mittelpunkt stehen.“ Lass die Glühwürmchen weiter leuchten, Alessandro!

Blick nach oben: Models bei der Valentino-Schau
Blick nach oben: Models bei der Valentino-SchauReuters

Chloé

Die legendäre Kritikerin Suzy Menkes mag inzwischen gebrechlich erscheinen. Das Auge der Zweiundachtzigjährigen, die noch unendlich viele Schauen besucht, ist aber ungetrübt: „Lovely prints“, meint sie beim Hinausgehen über die Drucke in Chemena Kamalis Chloé-Kollektion. „Und diese Drapierungen – dabei sind Drapierungen so schwierig.“ Aber auch davon hat sich Kamali nicht abhalten lassen. Die deutsche Designerin bezieht sich auf Gaby Aghion, die Chloé-Gründerin, die, obwohl sie in den Fünfzigern als Mitbegründerin des Prêt-à-porter galt, „entre deux“ war, zwischen Haute Couture und Konfektion. Also hat Chemena Kamali das Drapieren, Wickeln, Verknoten, Raffen, Plissieren aus der Couture in ihre Kollektion übernommen.

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So sind jetzt nicht einfach nur schöne Blumendrucke zu sehen, zu denen sie sich von Bademode aus der Zeit inspirieren ließ – oft gehen die Oberteile in drapierte Röcke mit originellem Volumen über. „Zu drapieren ist für mich fast einfacher als zu zeichnen“, sagt Chemena Kamali nach der Schau. „Daher ist dies auch eine sehr persönliche Kollektion.“ Nachdem sie drei, vier Saisons lang die Codes des Hauses erkundet habe, wolle sie nun den Fokus erweitern und die Grenzen erweitern. „Es gibt noch mehr zu entdecken.“ So ist jetzt auch sie „entre deux“: komplex wie Couture, leicht wie das Prêt-à-porter. Nicht das schlechteste Rezept: Mode aus der Gründerzeit der Marke für Frauen von heute.

Model bei der Chloé-Schau
Model bei der Chloé-SchauAlfons Kaiser

Maison Margiela

Man beißt sich ja oft an den seltsamsten Dingen fest. Also beißen wir uns jetzt mal fest an den seltsamen Klammern, die all den armen Models bei Maison Margiela den Mund in Viereckform ziehen. Ja, wir wissen, dass Martin Margiela der große Experimentator der Mode war, der gern mit Perücken, Tabi-Schuhen und ähnlichen Scherzen gegen die konventionelle Mode aufbegehrte. Aber muss ein junger Designer wie Glenn Martens, der ebenfalls aus Belgien stammt und nun in die Fußstapfen des großen Vorbilds steigt, sich ausgerechnet mit der hässlichsten und fiesesten Idee in die Nachfolge stellen, nämlich die „Four Stitches“ als Markenzeichen quasi aufs Mundwerk anzuwenden? Wir finden: Nein. Die anderen Ideen, die guten, sind ja da: Hosen mit extrem tiefem Schritt zu machen, auch die Jeans, sodass sie von vorn wie Schürzen aussehen, übergroße Trenchjacken zum Seidenkleid, Unterkleider zu raffen und mit Klebeband grob zu befestigen – alles okay. Die Muster, die an alte Blumentapeten erinnern, sind sogar richtig schön. Aber die Klammer dieses Textes bleibt eben diese Klammerei. Die Models sagen nach der Schau über die Mundklammern: „Die taten gar nicht weh.“ Aber uns gehen sie nicht aus dem Kopf.

Mit Mundklammern: Model bei Maison Margiela
Mit Mundklammern: Model bei Maison MargielaMaison Margiela

Hermès

Konservative Modemarken haben unter Moderedakteuren nicht immer den besten Ruf. Denn wenn die Grundlagen gleich bleiben, wenn sich von Saison zu Saison nichts ändert – was soll man da schreiben, posten, plappern? Falsch gedacht. Schauen wir auf Hermès, ein traditionsbewusstes Haus. Sind die Taillen vielleicht dieses Mal etwas stärker betont? Ist nicht auch hier alles irgendwie skulpturaler? Und war das gerade nicht sogar Denim? Genau, je konservativer, desto stärker kommt es auf die Feinheiten an. Hier unterscheidet man noch zwischen Vulkangrau und Schiefergrau. Hier sind die krassesten Farben Lindgrün, Tiefbraun, Schwarz und Marmorweiß. Die Miniröcke und die eng anliegenden Lederkleider sehen nicht gestrig aus. Was man der Designerin Nadège Vanhée-Cybulski außerdem zugutehalten muss: Die Siebenundvierzigjährige, die seit mehr als zehn Jahren die Hermès-Damenmode entwirft, arbeitet mit einem schwierig zu verarbeitenden Material: Leder braucht Schulung, Geschick, Kraft. Umso erstaunlicher, welche Ideen sie trotzdem verwirklicht – butterweiche Lederbustiers zum Beispiel, herrliche Spencer-Jäckchen oder einen Mantel, der sich per Reißverschluss zu einer Decke öffnen kann. Die Botschaft: Auch aus Tradition kann Neues entstehen.

Auch aus Tradition kann Neues entstehen: Model bei der Hermès-Schau
Auch aus Tradition kann Neues entstehen: Model bei der Hermès-SchauHermès

Akris

Albert Kriemler hat schon viele Künstler entdeckt. Der Akris-Designer, der sich in Kunst und Architektur auskennt wie keiner seiner Berufskollegen, hat davon viel in seine Entwürfe eingebracht. Nun lässt er sich von Leon Polk Smith anregen, einem 1996 gestorbenen amerikanischen Maler, einem Klassiker der Minimal Abstract Art, der durch seine geometrischen bunten Figuren bekannt wurde. Die Muster sind ideal, um einen Stil aufzubrechen, dem es nicht um Aufschneiderei geht, sondern um schweizerisches Understatement. Die geschwungenen Linien geben dem Körper neue Formen. Besonders ein weißes Minikleid mit gleich mehreren Minimal-Werken sticht heraus. Auch mit anderen Farben durchbricht das Modehaus aus St. Gallen das dominante Schwarz und Weiß, etwa ein starkes Zinnoberrot und ein tiefes Blau. Albert Kriemler kokettiert nicht mit Frühjahr und Sommer, aber seine Kleider und Jumpsuits stimmen mit Leichtigkeit darauf ein.

Angeregt vom Künstler Leon Polk Smith: Model bei Akris
Angeregt vom Künstler Leon Polk Smith: Model bei AkrisAFP

Gaultier

Vielleicht verstehen nur Franzosen eine solche Kollektion. „Wenn Erotik ein Element der Suggestion und Spannung hinterlässt – was für eine Lektion in Verführung und Entbehrung liefert sie! Hier kleidet Kleidung nicht; sie entkleidet auf eine andere Art. Strippen wird zur Kunstform, und jeder Auftritt erfindet die Grammatik der Haut neu“, schreibt die französische „Vogue“ begeistert, wobei das alles schwer zu übersetzen ist. Schwer zu verstehen ist allerdings auch die Grammatik der Haut, wenn bei einem männlichen Model der stark behaarte Körper und das mächtige Geschlechtsteil als Druck auf einem eng anliegenden Etwas das Publikum hinreißen sollen. Duran Lantink, der neue Designer der Marke Jean Paul Gaultier, hat den 73 Jahre alten Gründervater wahrscheinlich durch seine aufsässig-schrägen Entwürfe begeistert. Aber einfach nur mit konisch zulaufenden dicken Brustaufsätzen an Gaultiers „cone bra“ zu erinnern, ist dann doch ein bisschen „in your face“. Ja, über den Laufsteg gehen auch toll geschwungene Kreationen, denn der 38 Jahre alte Niederländer ringt dem Körper als guter Designer neue Formen ab. Aber die Effekthascherei nervt. Die braucht er gar nicht. Aber vielleicht verstehen diese Kollektion ohnehin nur Franzosen.

Nervende Effekthascherei auf dem Laufsteg von Gaultier
Nervende Effekthascherei auf dem Laufsteg von GaultierYANNIS VLAMOS

Celine

Schon einmal war ein Amerikaner Chefdesigner von Céline: Von 1997 bis 2003 flog Michael Kors regelmäßig mit der Concorde aus New York nach Paris. Als das Überschallflugzeug den Betrieb einstellte, stellte auch er den Betrieb ein, blieb in New York und konzentrierte sich auf sein eigenes Label. Es war nicht die schlechteste Zeit für die Pariser Marke, der ein späterer Designer namens Hedi Slimane einfach den Accent aigu wegnahm. (Als kleine Rache für seine Verachtung der französischen Phonetik sollte man ihn Hédi nennen.) Celine also wird nun von Michael Rider entworfen, der schon von 2008 bis 2018 unter Phoebe Philo bei der Marke war und dann zu Ralph Lauren ging. Man erkennt die Leichtigkeit der amerikanischen Ostküste an jeder weißen Hose und jedem Strohhut: Die Looks sind „polished“, alles ist nett anzusehen. Babydoll-Kleider, Ballonröcke, lockere zweireihige Anzüge, beigefarbene Bundfaltenhosen, Jeans zur weiten schwarzen Jacke – à la française und easy going. Bei Celine bricht wieder eine schöne Epoche an.

Bei Celine bricht eine schöne Epoche an.
Bei Celine bricht eine schöne Epoche an.Celine

Vetements

Schlechter Geschmack hatte lange einen guten Lauf. Aber die Zeiten sind vorbei. Demna ist von Balenciaga zu Gucci gewechselt, das Disruptive weicht dem Marktgängigen. Nur sein Bruder Guram Gvasalia macht unverdrossen weiter bei der einst gemeinsam gegründeten Marke Vetements. Und zwar mit harschen Mitteln, wie ein Enthüllungsartikel im aktuellen „Spiegel“ zeigt. Nun waren Designer immer schon Diktatoren, aber heute werden Herabwürdigungen („Shut up, you are stupid!“) nicht mehr einfach so hingenommen. Die Rückkehr auf den Laufsteg nach einer Saison Pause macht es nicht unbedingt besser. Von vorn sind die Frauen angezogen, von hinten nackt zu sehen. Wenn es bei den Männern ebenso wäre, müsste man es nicht sexistisch nennen, so aber doch – selbst wenn das womöglich als antisexistisches Statement gemeint war. Manche Entwürfe sind originell: Das Futter der Jacken nach außen zu drehen, eröffnet immer wieder spannende Perspektiven. Insgesamt herrscht aber eine irritierende Spannung, die Heidi Klum als Gast verkörpert – sie widmet sich mit einem transparenten Nichts der Körperkunst, und wenn sie lächelt, blitzen gruselige Grills hervor. Die sind aber nur bei Rappern wirklich cool.

Bei Vetements herrscht eine irritierende Spannung.
Bei Vetements herrscht eine irritierende Spannung.Reuters