Wäre Trump eine Zikade: Die Washington-Kolumne – Kultur

Eigentlich hätte die Blockparty schon am Samstag stattfinden sollen. Aber am Samstag hat es geregnet oder sagen wir besser: Es sah lange nach Regen aus. Dass es danach aussah, war aber schon hinreichend genug, um unser alljährliches Straßenfest auf den Sonntag zu verlegen. Das Verzwickte daran war allerdings: Die Distriktverwaltung hat uns nur für den Samstag die Erlaubnis erteilt, die Straße für den Autoverkehr zu sperren. Ich will die Sachlage noch einmal griffig bündeln, denn es handelt sich hier um eine sehr amerikanische Formel der täglichen Alltagsachtsamkeit: Es hat eigentlich nicht geregnet, aber es hätte regnen können. Und das rechtfertigt jede Absage und jedes Verbot.

Natürlich konnte die Blockparty sich am Sonntag nicht wie gewohnt lässig über die ganze Straße ausbreiten, denn dort standen ja die Autos. Deshalb kamen wir alle in Joes Garten an der Ecke zur 32nd Street zusammen. Ich bedankte mich bei Joe und lobte ihn für die spontane Entscheidung, sein Grundstück für die gesamte Nachbarschaft zu öffnen. Ich musste ihm deshalb so ausdrücklich dankbar sein, weil ich auch noch die Freundin meiner Tochter sowie eine Freundin von mir mitgebracht hatte. Als meine Tochter ihm sagte, dass sie die Institution Block Party so fantastisch finde, dass sie Isabelle gleich auch noch eingeladen habe, sagte Joe: „Good instinct.“ Ich werde mir diese Formel merken, denn in ihr steckt die ganze Ironie des charmanten Gastgebers im Angesicht unaufgefordert mitgebrachter Gäste.

Joe arbeitet bei AP, der größten Presseagentur der Welt. Donald Trump möchte AP nicht mehr im Weißen Haus sehen, weil die störrischen Journalisten von AP den Golf von Amerika weiterhin Golf von Mexiko nennen. AP hat gegen den Ausschluss von den Pressekonferenzen geklagt, zunächst mit Erfolg. Aber ein Berufungsgericht hat entschieden, dass Trump die Leute von AP tatsächlich nicht hineinlassen muss. Meine erste Frage an Joe lautete, nachdem ich seine Gastfreundschaft, sein fantastisches Haus und seinen gemütlichen Garten gelobt hatte, ob er spüre, dass sich etwas Grundlegendes geändert habe in den vergangenen Monaten. Ich habe gelernt, dass man Amerikanern, die man nicht so gut kennt, möglichst offene Fragen stellen sollte, Fragen, in die mindestens zwei Fluchtwege eingebaut sind. Joe wusste diese Fluchtwege auch zu nutzen, denn er sagte, AP stünde immer vor zwei Herausforderungen. Die eine sei geschäftlicher und die andere journalistischer Natur. Und man könne manchmal nicht entscheiden, ob man der journalistischen oder der geschäftlichen mehr Aufmerksamkeit widmen müsse.

Es gab Sushi, Hotdog und Frühlingsrollen. Michelle hat ihre einzigartigen Chocolate Cookies gebacken. Sie ist zu Recht stolz auf diese Cookies, und ich weiß, dass ich ihr Herz gewinnen kann, wenn ich die Prise Salz im Nachgeschmack lobend hervorhebe. An einem der nackten Baumstämme saßen drei Zikaden. Michelle sagte, sie hasse diese Viecher, weil sie so hässlich seien. Und weil alle achtzehn Jahre eine Zikadenplage über Washington käme. Bei der letzten habe sie sich nur noch mit einem extra breiten Besen durch den Garten bewegen können, weil der ganze Boden voller toter Zikaden war. Und die Geräusche, die diese Premium-Insekten machten, seien ekelhaft. Ich widersprach nicht, weil es nicht zweckdienlich ist, Amerikanern zu widersprechen, wenn sie ihre Wahrheiten verkünden. Mich dagegen beruhigt das Geräusch der Zikaden. Ich stelle mir dann vor, ich säße in Saint-Gély-du Fesc und nicht in Chevy Chase.

Von Trump und Hegseth geht eine unheilvolle Faszination aus, ähnlich wie von den Zikaden

Im November verenden die Zikaden ohnehin und dann ist es hier in der Nachbarschaft so still, wie es nach der Rede von Pete Hegseth in Quantico, Virginia, war, nachdem er den 800 Generälen erklärt hatte, dass sie demnächst in Portland, Chicago und New York einmarschieren sollen, um die Amerikaner vor sich selbst zu beschützen. Danach sprach Donald Trump und ermutigte die Generäle, ruhig einmal zu lachen und zu applaudieren – die Generäle blieben stumm und starrten geradeaus, so wie wir eigentlich alle geradeaus starren, weil von Trump und Hegseth eine unheilvolle Faszination ausgeht, ganz ähnlich wie von den Zikaden. Nur dass die Zikaden eben im Herbst verschwunden sein werden, Hegseth und Trump dagegen nicht. Hegseth kann viele Klimmzüge machen, Trump vermag eine Treppe hinunterzugehen, ohne zu fallen, allerdings nicht so lässig wie Barack Obama, der seine Stufen, so Trump, „da-da, da-da, da-da, bop, bop, bop“ gewinne.

Ich ertappe mich dabei, dass ich meine amerikanischen Nachbarn bei zwanglosen Zusammenkünften mit solchen Ereignissen wie dem von Quantico, Virginia, nicht mehr konfrontiere, weil ich weiß, dass sie sich dafür schämen. Deshalb lobe ich lieber den sensationellen Gasgrill, die unvergleichlichen Chickenwings und da-da, da-da, da-da, bop-bop-bop: die gut temperierten „Blue Moon“-Flaschen in der Kühltasche neben der Guacamole. Und ich habe mich sehr gefreut, zwei neue Gäste bei unserer Blockparty willkommen heißen zu dürfen: Nancy und Alan Mandel. Alan trug eine Baskenmütze und ein etwas zu großes Jackett. Er sprach ein bisschen Deutsch mit mir, was er ganz gut konnte, weil er viele Jahre lang in Salzburg Konzerte gespielt hat, als Pianist. Und Nancy hat ihn über die Jahrzehnte begleitet, und jetzt sind sie alt, neunzig Jahre. Deutschland habe ihnen immer gefallen, sagte Alan. Und Nancy sagte, dass es besonders Günter Grass sei, den sie über alles liebe. Als ich ihr sagte, dass in Deutschland kaum noch jemand über Günter Grass spreche, war sie ein bisschen traurig.

Ich habe von der Blockparty zwei Visitenkarten mitgenommen: eine von Alan, auf der auch der Name von Nancy steht. Und eine von Nancy, auf der nur Nancys Name steht. Vielleicht muss man am Ende einfach nur froh sein, dass man es noch gemeinsam auf Gartenpartys schafft und anschließend wieder gut nach Hause kommt. Apropos: Einen Tag später rief mir Steven, Michelles Mann, von der gegenüberliegenden Straße aus zu, ich solle ihm endlich mal ein paar meiner Kolumnen schicken. „Wenn sie dich demnächst abschieben“, sagte er, „will ich wenigstens wissen, warum.“