
Es gab in der Sendung von Caren Miosga, die am Sonntagabend den Bundeskanzler eingeladen hatte und sonst niemanden, ein Thema, bei dem die Moderatorin tatsächlich nicht lockerließ. Oder sich ganz offensichtlich vorgenommen hatte, nicht locker zu lassen. Dieses Thema war der sogenannte „Herbst der Reformen“, von manchen bereits „Herbst der Reförmchen“ genannt, und die damit verbundenen Vorwürfe, Friederich Merz sei ein „Kanzler der Ankündigungen“.
Miosga blendete dafür einen Auszug aus der Rede ein, die der Kanzler am 3. Oktober zum 35. Jahrestag der Deutschen Einheit in Saarbrücken gehalten hatte. Darin hatte dieser die Frage gestellt, wie „wir unsere innere Einheit als Land stärken“ könnten. Und darauf hingewiesen, dass wir in einem Moment, in dem die freiheitliche Lebensweise von außen wie von innen attackiert werde, begreifen müssten, dass sich vieles ändern müsse, wenn vieles so gut bleiben oder gar besser werden solle, wie es in unserem Land bisher sei. „Trauen wir uns solche Veränderung zu. Lassen wir uns nicht von Ängsten lähmen“, so Merz in seiner Rede in Saarbrücken: „Für Pessimismus und Larmoyanz haben wir keine Zeit“.
„Sind die Sozialdemokraten mutiger?“
Caren Miosga nun fragte, wo die Veränderungen eigentlich blieben. Der Herbst sei doch schon da. Merz habe im Wahlkampf Dinge angekündigt, die er gar nicht einhalten könne. Der Kanzler wiederum konterte scherzhaft und angesichts eines überstrapazierten Begriffs angemessen selbstironisch, dass sich nach dem Winter ein Frühling, ein Sommer und ein nächster Herbst anschließen würden. Und wollte gleich zum Thema Migration abbiegen; die Asylbewerberzahlen seien schließlich zurückgegangen. „Tja, aber darüber sprechen wir jetzt nicht. Wir sprechen über die Wirtschaft!“, hielt Miosga fest. „Warum versprechen Sie Dinge, die Sie nicht einhalten können und verbreiten so schlechte Laune, die Sie am Freitag dann beklagen?“
Miosga stellte damit die Behauptung auf, dass Pessimismus und Larmoyanz in der Bevölkerung auch eine Folge solch leerer Versprechen sein könnten. Also Ausdruck einer vom Kanzler selbst mitproduzierten Enttäuschung seien. Dass allerdings ein Problem mit dem Erwartungsmanagement des Kanzlers vor allem auch Mitglieder aus den Reihen der eigenen Partei haben, erwähnte die Moderatorin dabei nicht explizit.
Auf einem kleinen Parteitag, zu dem sich der Arbeitnehmerflügel der CDU zuletzt in Frankfurt zusammenfand, hatte die CDU-Politikerin Monica Wüllner, Mitglied des Bundesvorstands, auf einem Podium mit Unionsfraktionschef Jens Spahn gesagt, sie finde es „extrem unglücklich, wenn wir immer so tolle Ankündigungen machen – und dann wieder zurückrudern müssen“. Wenn man sage, „bis zu den Sommerferien gibt’s spürbare Verbesserungen in diesem Land, sodass es wirklich jeder spürt, und dann spürt’s halt keiner, dann ist es doof“. Und wenn man sage, „jetzt machen wir einen Herbst der Reformen, dann erwartet tatsächlich jeder, dass im Herbst alle Reformen abgeschlossen sind“.
Bürgergeld wird es so nicht mehr geben
„Deutschland im Herbst: Wo bleibt der Ruck für Reformen, Herr Bundeskanzler?“, hieß der Titel der Sendung, in der auch der Psychologe und Marktforscher Stephan Grünewald mit einer Kritik an Merz‘ Rede vom 3. Oktober eingeblendet wurde. Dem hatte in dieser Rede zu Einheit der eigentliche Ruck gefehlt. Der Kanzler, so Grünewald, hätte deutlicher machen müssen, was für den Wandel konkret erforderlich sei und was der Einzelne beitragen müsse. Es sei eine Festansprache gewesen, keine Regierungserklärung, kommentierte Merz. Und die „Ruckrede“ von Roman Herzog sei 1997 einmal gehalten worden, die sollte man nicht wiederholen.
„Staatsräson hat man in der Regel für das eigene Land“
Die „Miosga“-Sendung selbst nutzte der Kanzler dann aber schon für partielle Regierungserklärungen. Wenn ein Bundeskanzler als alleiniger Gast in eine Talkshow eingeladen ist, haben solche Sendungen ja automatisch etwas Sommerinterview-haftes. Es geht um alles. Natürlich auch um Fragen der Verteidigung: „Wir wollen uns verteidigen können, damit wie uns nicht verteidigen müssen,“ erklärte Merz.
Miosga hatte mit der Frage nach den Drohnen, die die Flughäfen lahmgelegt hatten – in München, in Frankfurt, in Kopenhagen – ihre Sendung begonnen. „Wir wissen es noch nicht genau, aber unsere Vermutung ist, dass Russland hinter den meisten dieser Drohnenflüge steckt“, so der Kanzler. Allerdings gebe es auch Trittbrettfahrer, die privat Drohnen steigen ließen, wofür man mit langen Haftstrafen rechnen müsse. Es sei ein schwerwiegender Eingriff in den Luftverkehr. Die Drohnenabwehr fiele in die Zuständigkeit der Polizei, die aber nicht gut genug ausgerüstet sei. Man werde das Luftsicherheitsgesetz überprüfen, um die Zuständigkeiten der Bundeswehr bei der Drohnenabwehr klarer zu fassen. Er könne die Bevölkerung aber zunächst einmal beruhigen: „Wir haben bis jetzt nicht einen einzigen Vorgang mit einer bewaffneten Drohne gehabt. Es sind Ausspähversuche. Es sind auch Versuche, die Bevölkerung zu verunsichern.“
In der Debatte um den Wehrdienst machte er klar, dass es nicht darum gehen könne, die Wehrpflicht einfach wieder einzuführen, dafür fehle es an Ausbildern und Kasernen. Er nahm aber – erstaunlich beiläufig – an, dass es bei einer Freiwilligkeit womöglich nicht bleiben werde. „Ich bin dafür, dass wir ein allgemeines gesellschaftliches Pflichtjahr in Deutschland etablieren, aber auch dazu braucht es eine Grundgesetzänderung“, so Merz.
Dass er der erste deutsche Bundeskanzler sei, der, wie Caren Miosga es formulierte, „immerhin leicht von der israelischen Regierung abgerückt“ sei, das sah Merz selbst auch so, weswegen es mit Netanjahu schon “ordentlich gerummst“ habe, und gab zu, dass er mit dem Begriff „Staatsräson“ nicht viel anfangen könne: „Staatsräson hat man in der Regel für das eigene Land und nicht für andere.“ Am Sonntag hatte er sich noch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und auch mit Donald Trump über die anstehenden Gespräche in Ägypten über den Friedensplan in Gaza ausgetauscht. „Es sind entscheidende Tage“, so Merz bei Miosga. „Fast zwei Jahre nach dem Terrorangriff des 7. Oktobers sei dieser Plan die beste Chance auf Freiheit für die Geiseln und den Frieden in Gaza.“
Keinen Zweifel ließ der Bundeskanzler bei „Miosga“ daran, dass es den größten Reformbedarf bei der Rente gebe. Er sei für eine Rente mit 67, so der 69-Jährige. Es müsse aber versucht werden, die gesamte Arbeitszeit im Laufe des Lebens der Bürgerinnen und Bürger zu steigern. Angesichts der demokratischen Lage sei es von Vorteil, wenn jene, die es könnten, länger arbeiteten. Aber auch dies müsse man der Bevölkerung erst mal vermitteln. Er sagte dann einen Satz, den Caren Miosga sich schöner gar nicht hätte ausdenken können: „Im Herbst nächsten Jahres werden wir die Reformvorschläge auf dem Tisch haben.“
Das ist das gute am Herbst. Auch wenn er schon da ist, kommt der nächste bestimmt.