Gisèle Pelicot: Berufungsprozess in Nîmes startet – Panorama

Noch einmal die ganze Tortur: die Videos, ihr früherer Mann in der Glasbox. Gisèle Pelicot wird an diesem Montag im Schwurgericht im südfranzösischen Nîmes dabei sein, wenn der Berufungsprozess in ihrem prägenden, weltweit beachteten Vergewaltigungsfall beginnt.

Sie hätte wegbleiben können, aus Selbstschutz. Sie lebt jetzt auf der Île de Ré, der Insel im Atlantik, weit weg. Aber das hätte nicht zu ihr gepasst.

Gisèle Pelicot, heute 72 Jahre alt, war während vieler Jahre von ihrem ehemaligen Ehemann betäubt und im Schlaf vergewaltigt worden. Dominique Pelicot bot sie auch fremden Männern zur Vergewaltigung an, er rekrutierte diese Männer in einem Forum. Alles filmte er, legte es auf seiner Festplatte ab und beschriftete die Szenen aus ihrem Schlafzimmer in Mazan, einem Ort bei Avignon, mit Namen und Kommentaren. Als er aufflog, brauchten die Ermittler nur die Videos studieren, da war alles dokumentiert.

51 Männer kamen im Herbst 2024 in Avignon vor Gericht, darunter auch Dominique Pelicot. Männer jeden Alters, aus allen sozialen Schichten und Berufen; die meisten lebten in der Nachbarschaft. Gisèle Pelicot ließ zu, dass der Prozess öffentlich verhandelt wurde, die Medien konnten daraus berichten, die Videos wurden im Gerichtssaal gezeigt. Damit die Scham und die Schande, wie sie sagte, die Seite wechselten. So wurde der Prozess erst richtig groß, und sie wurde zur Ikone des Feminismus.

Ein Straße in Avignon, in der Nähe des Gerichts: „Gerechtigkeit für Gisèle, Gerechtigkeit für alle!“
Ein Straße in Avignon, in der Nähe des Gerichts: „Gerechtigkeit für Gisèle, Gerechtigkeit für alle!“ (Foto: Miguel Medina/AFP)

Dominique Pelicot bekam die Höchststrafe, zwanzig Jahre Gefängnis. Die anderen Angeklagten wurden zu drei bis neun Jahren Haft verurteilt, je nach Fall.

Zunächst wollten 17 von ihnen in Berufung gehen, am Ende zogen aber 16 wieder zurück – wohl, weil ihnen ihre Anwälte dazu rieten. Denn in Nîmes urteilen Geschworene. Und die, so die Annahme, werden in einem solchen Fall eher härter richten als professionelle Richter. Auch Dominique Pelicot zieht nicht weiter, weil er seiner Exfrau das nicht antun wolle, sagte er.

So bleibt am Ende nur der Bauarbeiter Husamettin D., 44 Jahre alt, Vater eines Kindes. In erster Instanz war er wegen schwerer Vergewaltigung zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Wie die meisten Mitangeklagten hatte auch er im Gericht beteuert, er habe das Treffen im Schlafzimmer von Mazan für ein Rollenspiel gehalten, in dem Gisèle Pelicot nur vorgegeben habe, dass sie schlief – „eine Dreiergeschichte“.

Diese Verteidigungslinie war immer prekär, aus drei Gründen. Dominique Pelicot hatte erstens sein Forum im Netz „À son insu“ genannt, „ohne ihr Wissen“.

Als er die Männer ins Haus holte, trug er ihnen zweitens auf, darauf zu achten, seine Frau nicht zu wecken. Drittens hört man sie in den Videos schnarchen. In erster Instanz gab Husamettin D. zu, dass er zu Dominique Pelicot sagte, seine Frau wirke „tot“. Dennoch wollte er sich keiner Schuld bewusst sein.

„Ich akzeptiere nicht, dass ich als Vergewaltiger beschrieben werde“, sagte er. „Diese Bürde lastet viel zu schwer auf mir.“

Von Gisèle Pelicot hört man, dass es ihr gut gehe. Sie lebt mit ihrem neuen Partner auf der Île de Ré, zurückgezogen. Der Mediendruck während des Prozesses in Avignon war immens gewesen, plötzlich stand die mutige Frau mitten in der Weltöffentlichkeit, bedrängt von allen Seiten.

Das Magazin  Time  nahm sie auf in ihre Liste der hundert einflussreichsten Menschen der Welt, weil sie mit ihrer Courage die öffentliche Wahrnehmung für ein breites Problem geschärft habe.
Das Magazin Time nahm sie auf in ihre Liste der hundert einflussreichsten Menschen der Welt, weil sie mit ihrer Courage die öffentliche Wahrnehmung für ein breites Problem geschärft habe. (Foto: Clement Mahoudeau/AFP)

Das Magazin Time nahm sie auf in ihre Liste der hundert einflussreichsten Menschen der Welt, weil sie mit ihrer Courage die öffentliche Wahrnehmung für ein breites Problem geschärft habe. Sie erhielt Preise, auch die Légion d’honneur, Frankreichs höchste Auszeichnung.

Alle Interviewanfragen schlug sie aus, ihre Geschichte will sie selber erzählen. Mit der Hilfe einer Journalistin schreibt Gisèle Pelicot ein Buch, ihre Memoiren, die am kommenden 17. Februar herauskommen sollen, in zwanzig Sprachen gleichzeitig. Der Titel ist schon bestimmt, im Original: „Et la joie de vivre“. In der deutschen Fassung wird es „Eine Hymne auf das Leben“ heißen.

Ihr französischer Verlag Flammarion schrieb dazu, Gisèle Pelicot wollen allen, die schwierige Zeiten durchleben, eine „Botschaft der Hoffnung“ vermitteln, ebenso wie all jenen, die sie in diesen Herbstwochen des Jahres 2024 unterstützt hätten.