Formel 1 in Singapur: Verstappen-Ärger über McLaren und Norris

Der Ton in der Formel 1 ist schärfer geworden, passend zu den Gegebenheiten im Titelrennen. Dort scheint, wie die Qualifikation zum Großen Preis von Singapur, der an diesem Sonntag (14.00 Uhr MESZ im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky) gefahren wird, unterstreicht, nicht mehr viel so zu sein, wie es noch vor der Sommerpause war.

Irgendwo ist die Überlegenheit der McLaren-Rennwagen verloren gegangen, und damit auch die Leichtigkeit der WM-Kandidaten Oscar Piastri und Lando Norris. Max Verstappen mit seinem wiedererstarkten Red-Bull-Honda hat aus dem Duell einen Dreikampf gemacht, und der wird nicht allein auf dem Asphalt ausgetragen, sondern auch im Kopf. Die Psychospielchen nehmen Fahrt auf.

Die Formel 1 ist in ihrem letzten Drittel nicht nur näher zusammengerückt, sie scheint auch unberechenbarer geworden zu sein. So konnte keiner der Favoriten die auf dem überholunfreundlichen Marina Bay Street Circuit besonders wichtige Pole-Position für sich sichern. Fürs Erste triumphierte am späten Samstagabend George Russell mit einem über Nacht wiedererstarkten Mercedes, für dessen Qualitäten auf dieser besonderen Strecke auch der vierte Rang von Russells Teamkollege Kimi Antonelli spricht. Seit Lewis Hamiltons Wunderrunde von 2018 hatte in Singapur kein Silberpfeil mehr ganz vorn gestanden.

Max Verstappen, der in der Gesamtwertung immer noch einen Rückstand von 69 Punkten gegenüber Tabellenführer Oscar Piastri aufweist, war nahe dran an seiner allerersten Pole-Position auf dem besonders schweißtreibenden Stadtkurs. Beflügelt von zwei Siegen in Serie nutzte der Niederländer seine Außenseiterposition zur allgemeinen Verunsicherung beim großen Gegner McLaren. Dort wissen sie genau, was dem sich in Hochform befindlichen 28-Jährigen zuzutrauen ist.

Schnell war in der Qualifikation klar, dass weder Piastri noch dessen Teamkollege Lando Norris etwas mit der Vergabe des besten Startplatzes zu tun haben würden. Auf einer Runde scheint der Vorteil der optimalen Reifennutzung dahin und damit auch der entscheidende Vorsprung auf die Konkurrenz. Während das Mercedes-Hoch in Südostasien noch schwer einzuschätzen ist, wird immer deutlicher, dass Red Bull Racing vor der entscheidenden Phase der Saison einen enormen Schritt bei der Fahrzeugabstimmung gemacht hat. Und ein viermaliger Champion wie Verstappen weiß genau, wie er das für sich nutzen kann: Die Rolle als Unruhestifter ist ihm auf den feuerfesten Anzug geschrieben.

Die perfekte Dramaturgie

Vor dem letzten Umlauf hatte Russell im ersten Versuch in 1:29,158 Minuten einen Streckenrekord für die 4,9 Kilometer aufgestellt, ganz zum Schluss ging das Kandidaten-Trio Piastri, Norris und Verstappen nacheinander auf die Bahn. Die perfekte Dramaturgie. Und ein Drama sollte es werden. Die McLaren-Fahrer konnten ihre Positionen nicht mehr verbessern, Piastri blieb als Dritter notiert, Norris als enttäuschender Fünfter. Die Zeitenmonitore wiesen nun aus, dass nur noch Verstappen Russell vom Platz an der Flutlichtsonne vertreiben könne. Doch der Angriff ging schief, und es blieb bei einem Rückstand von 0,182 Sekunden und dem zweiten Startplatz.

Aus dem Cockpit des Niederländers war nach dem vergeblichen Schlussspurt nichts zu hören, jedenfalls nichts, was ohne Piepton hätte übertragen werden können. Denn, wie die nachträglich eingespielten Kamerabilder verdeutlichten, fuhr auf der letzten kurzen Geraden vor dem Knick zum Ziel noch ein anderes Auto auf der Ideallinie, als Verstappen dort einbog, und fädelte erst dann in die Boxengasse ein. Der orange Fleck, der zu sehen war, machte klar: Es war Kontrahent Lando Norris. „Du kannst dich bei deinem Freund bedanken“, funkte Verstappens Renningenieur Gianpiero Lambiase mit gehörigem Zynismus ins Cockpit.

Zwar lagen zwischen den beiden Rennwagen noch zwei, drei komfortable Sekunden Abstand. Aber nach Verstappens Ansicht hatte der Rivale, der mal sein bester Kumpel im Fahrerlager war, zu sehr im Weg gestanden: „Das ist nicht in Ordnung. In Singapur brauchst du für eine optimale Runde sechs bis sieben Sekunden saubere Luft vor dir. Weil ich zu dicht dran war, habe ich Abtrieb verloren und habe die Runde abgebrochen“, schäumte Verstappen.

In der Interviewrunde mit den Tagesbesten hatte der Red-Bull-Pilot bereits gedroht: „Der Vorfall ist notiert.“ Alle Autos der aktuellen Formel-1-Generation reagieren empfindlich auf Luftverwirbelungen, diese Turbulenzen werden „dirty air“ genannt. „Ich hoffe mal, dass das keine Absicht war“, ergänzte der erzürnte Angreifer.

Doch von schmutzigen Tricks wollte Norris nichts wissen: „Der Abstand war groß genug, ich muss mir nichts vorwerfen.“ Und überhaupt: „Red Bull beschwert sich doch immer über alles.“ Bei McLaren haben sie auch Grund genug, sich mit dem eigenen Leistungsverfall zu beschäftigen, der noch überraschender kommt als die Mercedes-Stärke. Dabei macht George Russell doch genau vor, was zum Erfolg auf einer engen und von Betonmauern gesäumten Piste entscheidend ist: Das Vertrauen in sich selbst nicht zu verlieren.

Schon vor zwei Jahren stand der Brite kurz vorm Sieg im Stadtstaat, ehe ihm eine Konzentrationsschwäche um den Triumph brachte: „Das erinnert mich daran, dass man hier für einen minimalen Fehler maximal bezahlen kann.“