Sturm auf Präsidentenpalast in Tiflis

In Georgien droht das zusehends autoritär herrschende Regime des reichsten Georgiers, Bidsina Iwanischwili, nach einer weiteren Protestnacht seinen Gegnern mit einer neuen Verhaftungswelle.

Am Samstag versammelten sich zunächst Zehntausende auf der Rustaweli-Straße im Zentrum der Hauptstadt Tiflis. Viele von ihnen waren maskiert, um eine Identifizierung durch Kameras mit Gesichtserkennungssoftware zu vermeiden; es wurden hohe Bußgelder wegen Straßenblockierung verhängt.

Zu der Demonstration aufgerufen hatte der Opernsänger Paata Burtschuladse, um „Iwanischwili friedlich zu stürzen“. Er verlas eine „Erklärung“, in der er die Menge als „Nationalversammlung“ bezeichnete, die eine friedliche Machtübergabe einleite.

Zudem forderte der 70 Jahre alte Sänger, Iwanischwili und dessen wichtigstes Machtpersonal festzunehmen. Dann rief ein Oppositionspolitiker die Männer auf, zum nahen Präsidentenpalast zu marschieren, um die Kontrolle über die Institutionen zu übernehmen.

Der Opernsänger Paata Burtschuladse (Mitte, links) und der ehemalige georgische Generalstaatsanwalt Murtaz Zodelavaother (Mitte) am Samstag mit Demonstranten in Tiflis
Der Opernsänger Paata Burtschuladse (Mitte, links) und der ehemalige georgische Generalstaatsanwalt Murtaz Zodelavaother (Mitte) am Samstag mit Demonstranten in Tiflisdpa

In dem Palast residiert der von Iwanischwili Ende 2024 als Präsident installierte Micheil Kawelaschwili. Demonstranten rissen Teile des Zauns davor nieder und gelangten kurz auf das Gelände, ehe Sicherheitskräfte die Menge mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Tränengas auseinandertrieben. Manche Demonstranten bauten daraufhin Barrikaden und entzündeten Feuer.

Infolge der Auseinandersetzungen wurden laut dem Gesundheitsministerium 21 Polizisten und sechs Demonstranten im Krankenhaus behandelt. Burtschuladse und weitere Organisatoren des Protests wurden noch am späten Samstagabend festgenommen, der Sänger von schwer bewaffneten Polizeikräften in einem Krankenhaus, wo er Medienberichten zufolge nach einem Tränengaseinsatz behandelt wurde.

Den Männern wird nun unter anderem ein versuchter Staatsstreich vorgeworfen. Iwanischwilis Regierungschef, Irakli Kobachdise, sagte am Samstagabend, man erwarte, dass insgesamt weit mehr als 30 Personen festgenommen würden. Kobachidse machte, ohne Belege anzuführen, die EU sowie ausländische Geheimdienste für die Gewalt verantwortlich und sagte, „ausländische Agenten“ würden bald „neutralisiert“. Das Regime will die Opposition verbieten.

Proteste begannen nach manipulierten Wahlen

Kawelaschwilis Vorgängerin respektive Konkurrentin Salome Surabischwili, deren Präsidentschaft formal Ende 2024 endete, die sich aber weiter als legitime Präsidentin sieht, kritisierte auf der Plattform X die „Posse einer Übernahme des Präsidentenpalasts, die nur vom Regime inszeniert worden sein kann, um die 310 Tage friedlichen Protests des georgischen Volkes zu diskreditieren“. Sie bekräftigte das Ziel, Neuwahlen abzuhalten.

Die Proteste in Georgien hatten begonnen, nachdem Iwanischwilis Machtpartei „Georgischer Traum“ sich in Parlamentswahlen Ende Oktober 2024 nur durch vielfach dokumentierte Manipulationen behaupten konnte. Einen Monat später erhielten sie weiteren Zulauf, als die Regierung erklärte, Verhandlungen über einen EU-Beitritt auszusetzen. Viele Georgier verstehen dies als Bruch mit dem Ziel einer „euroatlantischen Integration“ ihres Landes und Kehrtwende nach Moskau.

Mittlerweile sind zahlreiche Demonstranten und führende Oppositionspolitiker in Haft. Die Machtpartei erklärte sich schon vor Veröffentlichung offizieller Ergebnisse zur Siegerin von am Samstag abgehaltenen Kommunalwahlen, die von weiten Teilen der Opposition boykottiert wurden; die Wahlbeteiligung war mit knapp 41 Prozent deutlich niedriger als in früheren Jahren und betrug in Tiflis, dem Zentrum des Protests, nur 31 Prozent.

Iwanischwili feierte allerdings einen Wahlsieg, der „unseren Vorfahren Respekt“ erweise: „Das ist, was Georgien verdient. Das ist, was unsere Geschichte verdient. Was unsere Gene verdienen.“ In Anspielung auf sein Kampfbild einer „globalen Partei des Krieges“, die Iwanischwili im Westen und nicht in Russland, wo er sein Vermögen machte, verortet, sagte der informelle Herrscher, Georgien sei „der einzige Staat, der es durch Einigkeit geschafft hat, diese von außen kontrollierte Eroberungsmacht wegzuschicken“. Die moldauische Präsidentin Maia Sandu schrieb auf X, ihre Gedanken seien beim georgischen Volk, das für Freiheit und seine europäische Zukunft einstehe.