
Roland Virkus trägt Borussia Mönchengladbach im Herzen wie kaum ein anderer. Dass er trotzdem als Manager gehen musste, sagt viel über den Klub aus – und über das Fußball-Business. Ob in Gladbach ohne den Sündenbock Virkus alles besser wird, ist offen.
Anfang Juli war es zu einer Situation gekommen, die viel über den Menschen Roland Virkus verriet. Die Geschäftsführung von Borussia Mönchengladbach hatte die Journalisten geladen, um gemeinsam den Trainingsauftakt der Bundesligamannschaft zu verfolgen. Auf der Dachterrasse des Fohlenstalls, dem Funktionsgebäude des Nachwuchsleistungszentrums, gab es ein Frühstücksbuffet.
Das Thema, das die Berichterstatter damals in großer Zahl angelockt hatte, war jedoch ein eher peinliches: Ein wackeliges Instagram-Video, auf dem zu sehen war, wie sich der Gladbacher Mittelfeldspieler Florian Neuhaus auf Mallorca etwas unfein über Virkus, den er „Don Rollo“ nannte, geäußert hatte. Virkus hatte dies verletzt. Doch als er von einem Reporter direkt darauf angesprochen wurde, sagte er nur: „Dazu ist alles gesagt.“ Statt seiner erläuterte Stefan Stegemann, seit Anfang des Jahres neuer CEO des Klubs, wie Neuhaus bestraft werde – mittlerweile ist der Ex-Nationalspieler übrigens wieder begnadigt.
Virkus, der am vergangenen Dienstag als Geschäftsführer Sport zurückgetreten ist, schien nie in die Gilde der Bundesliga-Manager zu passen. Die sportlichen Leiter – egal, ob nun im Rang eines Geschäftsführers oder eines Direktors – sind die Personen, die einen Verein nach außen vertreten. Sie stehen ständig vor Fernsehkameras, telefonieren permanent mit Journalisten. Und die meisten von ihnen sind eloquent genug, dies zu nutzen, um ihr eigenes Image positiv zu beeinflussen, selbst wenn ihre Spielertransfers oder Trainerverpflichtungen – ihre Kernaufgaben also – nicht erfolgreich waren. Wer das Spielchen mit den Medien beherrscht, kann auch in Krisenzeiten seinen Job sichern.
Virkus‘ Rückzug ist eine Zäsur
Virkus aber war es nie darum gegangen, irgendjemanden in Interviews zu überzeugen oder in Hintergrundgesprächen auf seine Seite zu ziehen. Der 58-Jährige versuchte stets, gute Arbeit zu machen: Das hat er von 1990 an als Jugendtrainer und -leiter so getan, und das versuchte er auch in den vergangenen dreieinhalb Jahren, nachdem er sich hatte breitschlagen lassen, in die Gladbacher Geschäftsführung aufzurücken. Virkus hat mehr als 35 Jahre für die Borussia gearbeitet – und gebrannt.
Sein Rückzug ist eine Zäsur. „Roland Virkus hat die Situation richtig eingeschätzt und gezeigt, dass er ein Gladbacher Herz hat. Weil er die aktuellen Probleme nicht lösen und die richtigen Signale im Moment nicht setzen kann, ist das die richtige Konsequenz von ihm“, erklärte Lothar Matthäus. Der frühere Weltfußballer, der Gladbach immer noch als seinen Lieblingsverein bezeichnet, sieht in Virkus eine zentrale Ursache für die Krise – wie viele andere auch.
Die hat tatsächlich ein Ausmaß angenommen, das als bedrohlich angesehen werden muss. Der Fehlstart mit drei Niederlagen und zwei Unentschieden, zwölf Gegentoren und dem Abrutschen auf den letzten Tabellenplatz hat Abstiegsängste ausgelöst. Virkus spürte, dass er dafür als Sündenbock herhalten muss – spätestens seit dem vergangenen Wochenende, als die Mannschaft beim 4:6 (0:5) gegen Eintracht Frankfurt eine Vorstellung zeigte, die nur zwei Erklärungsansätze zuließ: Entweder sie ist hoffnungslos verunsichert – oder sie ist schlicht nicht leistungsbereit, weil etwas grundsätzlich nicht stimmt. Zur Halbzeit lagen die Fohlen 0:5 zurück, zwei Minuten nach Wiederanpfiff sogar 0:6. Die Fans forderten lautstark den Kopf von Virkus und kurioserweise nicht den des unmittelbar Verantwortlichen, den von Trainer Eugen Polanski.
Da wusste Virkus, dass es schwierig wird, die Sympathien der Kurve zurückzugewinnen. Bezeichnend war auch, dass niemand versuchte, ihn zum Bleiben zu bewegen – weder seine Geschäftsführer-Kollegen noch der Aufsichtsrat, noch Präsident Rainer Bonhof. „Wir sind der geeinten Meinung, dass wir uns im sportlichen Bereich anders aufstellen wollen“, sagte Bonhof.
Was das neue Anforderungsprofil aussagt
Das ist eine späte Erkenntnis. Jedenfalls hatte es keinen Widerspruch gegeben, als Virkus kürzlich noch eine weitreichende Entscheidung traf: Er hatte nach nur drei Saisonspielen die Trennung von Cheftrainer Gerardo Seoane durchgesetzt. Der Schweizer hatte die Mannschaft, die durch den Abgang zahlreicher Leistungsträger immer wieder geschwächt worden war, in den vergangenen zwei Jahren zunächst auf Rang 14 und dann auf Platz zehn geführt. Vor allem aber hatte Virkus danach auf eine Nachfolgeregelung gesetzt, die den Kern des Scheiterns bereits in sich trägt: Er beförderte den U23-Coach Polanski, ließ aber offen, ob dies nun eine dauerhafte oder eine Interimslösung sei.
Dabei bleibt es auch. Polanski wird „bis auf Weiteres“ auf der Bank sitzen, also auch am Sonntag gegen den SC Freiburg (19.30 Uhr/live DAZN). „Der erste Stein, der fallen muss, ist der neue sportliche Leiter. Den wollen wir zeitnah finden. Die Trainerfrage bleibt bis dahin offen“, sagte Stefan Stegemann der „Rheinischen Post“. Der Finanzfachmann ist der neue starke Mann bei der Borussia und versteht seine Aufgabe im Gegensatz zu seinem Vorgänger Stephan Schippers als eine allumfassende. Der frühere Bundeswehroffizier hat auch klare Vorstellungen im Hinblick auf den Sport.
Das Anforderungsprofil, das Stegemann für den neuen sportlichen Leiter skizziert, passt auf viele Kandidaten. „Er braucht mediale Stärke, ein großes Selbstvertrauen und eine klare Philosophie und Ausrichtung. Er muss jemand sein, der über sportliche Entwicklung und Neuerungen permanent nachdenkt, der auch die Persönlichkeit hat, dem Druck standzuhalten“, erklärte er. Das ließe sich auch wie folgt übersetzen: Der Neue muss in vielen Bereichen ganz anders sein als Virkus.
dpa/mel