
Seinem Spitznamen hat Dominik Kohr im Laufe seiner Bundesligakarriere alle Ehre gemacht: „HardKohr“ blickt auf 99 Gelbe Karten zurück, gesammelt bei 310 Einsätzen für – in chronologischer Reihenfolge – Bayer Leverkusen, den FC Augsburg, Eintracht Frankfurt und den FSV Mainz 05. In der ewigen „Bestenliste“ rangiert nur noch Stefan Effenberg (110/370) vor ihm. Hinzu kommen bei Kohr acht Platzverweise, zweimal Rot, sechsmal Gelb-Rot. Mehr weist kein anderer Profi oder ehemaliger Profi auf.
Dominik Kohr ist ansonsten im Team von Bo Henriksen gesetzt. Schon kurz nach seinem Amtsantritt als Mainzer Trainer im Februar vorigen Jahres hatte der Däne den damaligen „Sechser“ eine Reihe nach hinten geschoben. Aus der Übergangs- wurde eine Dauerlösung. Zwar dauerte es eine Weile, bis Kohr seine robuste Spielweise umstellte, sich weniger Verwarnungen einhandelte. Seine Zweikampfstärke, Übersicht, Schnelligkeit machten ihn in der neuen Rolle schnell unverzichtbar.
Seither fehlte er nur noch, wenn es nicht anders ging. Vorige Saison war das sechsmal der Fall: zweimal wegen Sperren nach der fünften und zehnten Gelben Karte, zweimal wegen einer mit Rot geahndeten Berührung des Freiburger Stürmers Lucas Höler, und an den beiden letzten Spieltagen verletzungsbedingt. „Seine Power ist wichtig für unsere Mannschaft“, sagt Henriksen, der nicht beabsichtigt, seinen „Leader mit viel Erfahrung“ zu ändern. „Dominik Kohr muss Dominik Kohr bleiben, dann tut er unserer Mannschaft unglaublich gut. Deswegen spielt er in jedem Spiel – wenn er kann.“

Wobei mancher Karton, den ihm die Schiedsrichter in den vergangenen eineinhalb Jahren vors Gesicht hielten, auf Fehlentscheidungen beruhte. Oder darauf, dass Kohr sich einen Ruf als Raubein erarbeitet hat, das er längst nicht mehr ist. Der Platzverweis beim 4:1 in Augsburg vor zwei Wochen fiel in diese Kategorie: Der bereits verwarnte Verteidiger hatte den konternden Han-Noah Massengo am Sechzehnmeterraum sauber abgegrätscht. Der Angreifer stolperte nur über Kohrs Beine, weil Nadiem Amiri ihn von hinten gestoßen hatte – statt der Ampelkarte für Kohr hätte es Gelb für den Spielmacher geben müssen. „Aber Dome hat einen Namen“, merkte Bo Henriksen angesäuert an.
Wer die Entwicklung des gebürtigen Trierers, Sohn des einstigen Bundesligastürmers Harald Kohr, verfolgt, bemerkt einen Reifeprozess, der für einen Spieler seines Alters bemerkenswert ist. Seit er nicht mehr als Abräumer im Mittelfeld fungiert, hat er seine Herangehensweise um etliche Elemente bereichert. 05-Sportdirektor Niko Bungert hob schon vor geraumer Zeit die „Kombination aus Aggressivität und Antizipation“ hervor. Kohr ist so schnell, dass er, wenn er aus der Kette nach vorne sticht, um Bälle frühzeitig abzufangen, auch rechtzeitig wieder hinten ist, bevor es dort brennt.
Hinzu kommen ein sauberes Passspiel und bei seinen offensiven Dribblings ein mitunter filigraner Umgang mit dem Ball, mit dem er die heimischen Fans nicht nur so manches Mal verzückt, sondern auch verblüfft. „All das macht ihn zu einem richtig guten Innenverteidiger“, sagt Bungert.
Schon Henriksens Vorvorgänger Bo Svensson hatte es übrigens ab und an mit Kohr in der Abwehrkette versucht, allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Das Problem war die fehlende Konstanz, ein „heute hier, morgen dort“. Erst unter dem heutigen Trainer bekam Kohr die Zeit, seinen Rhythmus in der Innenverteidigung zu finden, ein Spielverständnis mit den Nebenleuten zu entwickeln, stabil zu werden und sich in den Aufbau einzuschalten. Das Experiment hat sich gelohnt.
Beim FSV Mainz 05 werden sie hoffen, dass Familie Kohr ihr viertes Mitglied vor dem Wochenende begrüßen kann. Bo Henriksen und das gesamte Team würden ungern auch noch an diesem Sonntag (17.30 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Fußball-Bundesliga und bei DAZN) in der Partie beim Hamburger SV auf ihren linken Innenverteidiger verzichten.