
Es ist das Privileg der Kunst, ihre Haltung durch Abwesenheit zu illustrieren, auch wenn dieses Privileg in den vergangenen Jahren immer wieder dazu führte, dass mehr über Zu- oder Absagen diskutiert wurde als über den Gegenstand der Kunst. Wenn also gleich eine Reihe von Künstlern, in diesem Fall Musiker, ihre Auftritte bei einer großen Veranstaltungsreihe absagen, dann ist das, falls es nicht gerade um grundsätzliche Boykotte geht, von denen keiner etwas hat, ein beachtenswerter Umstand.
Dass Jan Böhmermann im Mittelpunkt einer solchen Demonstration steht, war nicht zu erwarten, denn einer wie er sollte ja eigentlich als Medienprofi und als Satiriker damit betraut sein, Debatten zu kommentieren, statt sich selbst in ihnen zu verstricken. Die Erkenntnis, dass sich daran etwas grundlegend verändert hat, spricht nicht unbedingt für ihn.
Dem Unbehagen zuvorkommen
Zur Diskussion steht die Absage eines für Sonntag geplanten Konzerts im Haus der Kulturen der Welt, wo gerade die von Böhmermann kuratierte Ausstellung „Die Möglichkeit der Unvernunft“ läuft. Im Begleitprogramm hätte der Rapper Chefket auftreten sollen, ein Musiker, dessen Songs von langen Nächten, Heidenheim und Verständigung handeln, und der sich gegen Antisemitismus ausspricht, was in seiner Szene, die immer noch mit aufgepumpter Männlichkeit und antisemitischen Vorurteilen Geld verdient, nicht gerade üblich ist.
Kulturminister Wolfram Weimer aber, der seine HipHop-Expertise bis dahin verheimlich hatte, war empört für Chefkets Ausladung eingetreten. Eine Aufnahme, die den Rapper in einem Trikot mit der Aufschrift „Palestine“ und den Umrissen eines Territoriums zeigt, die sich als bewusste Auslassung Israels verstehen lassen, hatte es Weimer leicht gemacht. Dass man solche T-Shirts als Künstler, der für Verständigung einsteht, nicht unkommentiert tragen kann, müsste auch Chefket wissen. Relevanter ist die Frage, warum die Böhmermann-Crew seinen Auftritt für den Jahrestag des Hamas-Massakers geplant hatte, ohne wenigstens einen jüdischen Künstler dazu zu holen oder jemanden aus dem Umfeld der Nova Music Festival Exhibition – einer Gedenkausstellung für die Opfer des Nova Festivals, die am Montag am Flughafen Tempelhof eröffnet –, um dem Unbehagen, das jetzt angesichts des Datums herrscht, zuvorzukommen.
Die Band Blumengarten hatte Chefket außerdem den Tag abtreten wollen, an dem sie selbst gespielt hätte. Auch das wäre ein Kompromiss gewesen. Dazu kam es aber nicht mehr. Eine Erklärung, Chefkets Konzert sei abgesagt worden, weil die „Integrität der Veranstaltung“ nicht mehr garantiert werden könne, half auch nicht bei der Aufklärung. Am nächsten Mittwoch sollen Weimer und Böhmermann miteinander diskutieren. Vielleicht erfahren wir dann mehr.
Historisch hat es sich für Künstler meistens ausgezahlt, Äquidistanz zu allen Mächtigen zu halten. Die Veranstaltungen rund um die Böhmermann-Ausstellung im HKW sind staatlich gefördert, was die Kritik Weimers, seinen Einspruch von der Seitenlinie, noch sonderbarer erscheinen lässt. Schließlich sitzt er wie Böhmermanns Anwalt Christian Schertz nächste Woche mit dem Gastgeber auf dem Podium.
Böhmermann wiederum hat seine staatlich finanzierte „Möglichkeit der Unvernunft“ in eine besonders zahme Rolle gebracht. Er kann nicht vor und nicht zurück und schweigt deshalb. Die Künstler, die ihre Teilnahme abgesagt haben, warten noch immer auf eine Erklärung. Dass ein selbstgewisser Medienprofi all das nicht hat kommen sehen, ist ganz schön erstaunlich.