
„Halbvoll oder halbleer?“, fragte der niederländische Reporter. „Halbvoll“, erwiderte Eindhovens Chefcoach Peter Bosz so zügig, wie Lucky Luke den Colt zieht. 1:1 in Leverkusen, in der Höhle des Bayer-Löwen, das ist kein schlechtes Resultat, auch wenn die rheinische Raubkatze derzeit nicht so laut brüllt wie in den beiden vergangenen Jahren. Genauer hingehört, war es am Mittwochabend eher ein oft noch schüchternes Rufen im Stimmbruch.
Zum Champions-League-Treffen mit der PSV, dem Meister aus dem Nachbarland, schickte Bayer-Trainer Kaspar Hjulmand lauter Heranwachsende auf den Rasen, die so wie er allesamt erst vor ein paar Wochen ihren Job in Leverkusen angetreten haben. Gemeinsam bildeten sie, der dänische Coach vorneweg, eine Internationale des Bayer-04-Fußballs: In der Abwehr stand der 22-jährige Engländer Jarell Quansah; die Außenposten bildeten der gerade erst volljährig gewordene Franzose Axel Tape und der Niederländer Ernest Poku, 19. Im Zentrum kamen der aus Saudi-Arabien importierte Argentinier Equi Fernández, 23, und der Deutsch-Amerikaner Malik Tillman, 23, zusammen, während in der Angriffsmitte der Kameruner Christian Kofane, 19, den verletzten Patrik Schick ersetzen durfte. Er empfahl sich nicht nur als Torschütze für die Vertretung des wohl noch wochenlang fehlenden Mittelstürmers.

:Leverkusen mit Hjulmand: „Das kann eine extrem spannende Mannschaft werden“
Woran Erik ten Hag scheiterte, soll nun Kasper Hjulmand gelingen. Aber ist er der richtige Trainer für Bayer Leverkusen? Wie tickt der Däne? Und wie verändert sich die Werkself mit ihm?
„Amazing“, toll, sei es gewesen, das erste Tor im Europacup zu schießen, sagte Kofane – sofern man ihn richtig verstanden hat, denn er sprach so leise und scheu zu den Reportern, dass der Sinn der meisten seiner Äußerungen nur zu erahnen war. Wichtiger war aber ohnehin, wie er sich durch seinen Auftritt als Angriffsspitze darstellte. Dass ihn der Klub zu Schicks Stellvertreter ernannte, während er Victor Boniface als Leihgabe an Werder Bremen weiterreichte, dafür lieferte er nun einige Argumente. Sein Team habe „a lot of touches in the box“ gehabt, wie Coach Hjulmand hervorhob, der sich bis zur Auffrischung seiner Deutsch-Kenntnisse vorerst lieber noch auf Englisch erklärt. An den zahlreichen Ballkontakten in Eindhovens Strafraum hatte der umtriebige und bewegliche Kofane einen guten Anteil gehabt – an den Problemen der Offensive allerdings ebenfalls.
Man habe in den wesentlichen Momenten „den letzten Punch“ vermissen lassen, erklärte Hjulmand, bevor er sagte, was er in den vergangenen Wochen schon oft gesagt hat: Dass er „sehr optimistisch“ sei hinsichtlich der Entwicklung der radikal neuen Bayer-Mannschaft, und dass er an ihre Qualitäten glaube: „It will come“, wird schon, prophezeite er den Fortschritt. Den Zeitpunkt allerdings, da Bayer wieder den Anspruch an ein Spitzenteam erfüllen kann, vermag der Trainer nicht zu nennen. Spitzenleistung auf hohem Champions-League-Niveau zeigte gegen Eindhoven nur Alejandro Grimaldo, der in Abwesenheit des verletzten Robert Andrich als Kapitän fungiert und sich seitdem, Magie der Armbinde, nicht nur durch feine Technik, sondern auch mit enormer Einsatzfreude hervortut.
Spielstark zeigt sich in Leverkusen eher das Gästeteam aus Eindhoven mit dem früheren Bayer-Trainer Bosz
Ansonsten war es vorwiegend das PSV-Team des früheren Leverkusener Trainers Peter Bosz, das am Mittwochabend spielstarken Bayer-Fußball mit fließenden Kombinationen aufführte. Der in Leverkusen nach wie vor sehr geschätzte Bosz, Hjulmands Vorvorvorvorgänger, hat als Lehrer einer offensiven Spielkultur im Klub Spuren hinterlassen. Von seinem Erbe war am Mittwochabend noch nicht so viel zu erkennen, die neuen jungen Hausherren profitierten eher von gelungenen Einzelaktionen als von Teamarbeit. „Es war definitiv nicht alles perfekt“, meinte Torwart Mark Flekken, aber die Partie habe auch einen „klaren Schritt nach vorn erkennen lassen“.
Um in der laufenden Champions-League-Saison erfolgreich zu sein – Ziel ist es, die K.-o.-Runde zu erreichen – muss der Aufbau der neuen Elf allerdings beschleunigt vorankommen. Die nächsten Widersacher sind Manchester City, Paris Saint-Germain, Benfica Lissabon und Newcastle United. Aus dem relativ leichten Start mit den Gegnern Kopenhagen und Eindhoven geht Bayer mit eher mickrigen zwei Punkten hervor, zu wenig, wie auch Hjulmand nicht leugnen wollte. „Aber ich glaube an die Jungs“, sagte er. Und immerhin: Nach diesem unterhaltsamen Fußball-Abend klang der öfter geäußerte Satz schon nicht mehr wie auswendig aufgesagt.