
Ein Gericht im süditalienischen Reggio Calabria hat 76 Angeklagte verurteilt, die im Rahmen der internationalen Anti-Mafia-Operation „Eureka“ festgenommen worden waren. Unter den Verurteilten sind auch vier Männer aus München sowie weitere Mafiosi mit Verbindungen nach Deutschland. Das geht aus dem Urteil sowie weiteren Gerichtsdokumenten hervor, die MDR und F.A.Z. vorliegen.
Im Fokus der „Operation Eureka“ standen ’ndrangheta-Clans aus den kalabrischen Dörfern San Luca und Africo, die als besonders einflussreich und international bestens vernetzt gelten. Die Vorwürfe reichten von der Mitgliedschaft in der Mafia über Drogenhandel, Geldwäsche, bis hin zum illegalen Besitz von Kriegswaffen. Das Gericht verhängte am Mittwochabend nun Strafen von bis zu 20 Jahren Gefängnis. Es handelt sich um ein Urteil in erster Instanz, das noch nicht rechtskräftig ist.
Die vier Italiener, die im Mai 2023 in München festgenommen worden waren, wurden zu Freiheitsstrafen von zwölf bis 14 Jahren verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung am Kokainschmuggel beteiligt waren und Drogengelder gewaschen hatten. Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus.
München als Knotenpunkt
Die Anklage der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft hatte gezeigt, dass München ein wichtiger Knotenpunkt im globalen Netzwerk der ’ndrangheta-Clans aus San Luca war. Den Männern aus München warf sie vor, sich an der Finanzierung und Organisation von Kokainlieferungen der von Südamerika nach Europa und in einem Fall sogar weiter nach Australien beteiligt zu haben.
Die Ermittler konnten Reisen von München nach Argentinien und Brasilien rekonstruieren, bei denen es mutmaßlich darum ging, neue Lieferanten ausfindig zu machen und Konditionen zu verhandeln. Um die Einnahmen aus dem Drogenhandel zu waschen, betrieb die Münchner Gruppierung Autopflegefirmen in den Parkhäusern mehrerer Einkaufszentren (wie dieses Geldwäsche-Modell funktionierte, lesen Sie hier).
Kopf der Münchner Zelle war laut der Staatsanwaltschaft Michele M., den deutsche Ermittler nach Informationen von MDR und F.A.Z. schon seit der Jahrtausendwende im Fokus hatten. Er arbeitete damals in italienischen Restaurants in Erfurt, die die deutschen Behörden im Rahmen der Operation „Fido“ im Verdacht hatten, Stützpunkte der ’ndrangheta zu sein. Später übernahm M. ein Restaurant in einem Einkaufszentrum im Münchner Osten, das bald als Anlaufstelle für mutmaßliche Mafiosi galt. 2019 wurde es im Rahmen des internationalen Kokain-Verfahrens „Pollino“ durchsucht, gefunden wurde damals nichts. Kurz darauf meldete M. Insolvenz an und machte das Lokal zu. Jetzt wurde er zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt.

Einer der Hauptangeklagten in Reggio Calabria war Salvatore G. Ihn hatte die Staatsanwaltschaft beschuldigt, einer der Drahtzieher der internationalen Kokaingeschäfte der Clans aus San Luca zu sein. Während der Ermittlungen hatte sich gezeigt, dass er immer wieder auch nach Deutschland reiste, insbesondere zu einer Eisdiele im nordrhein-westfälischen Siegen. Es gab Hinweise, dass er dort viel Geld investiert hatte. Bei den internationalen Razzien der „Operation Eureka“ wurden darauf auch die beiden Betreiber und ein Angestellter der Eisdiele festgenommen. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen Geldwäsche und die Mitgliedschaft in der `ndrangheta vor.
Freisprüche in Dortmund
Im Februar dieses Jahres wurden die drei Männer aus Siegen freigesprochen. Das Landgericht Dortmund stellte zwar fest, dass in der Eisdiele „verschiedene Personen aus dem Umfeld der ’ndrangheta“ angestellt gewesen seien, dass es immer wieder Besuch aus Italien gegeben habe, doch das, so das Gericht in seinem Urteil, reiche nicht aus, um ein aktives Unterstützen einer ausländischen kriminellen Organisation zu begründen. Dass Salvatore G. tatsächlich Geld in die Eisdiele investiert habe, sah das Gericht nicht als erwiesen an. Außerdem schrieben die Dortmunder Richter in ihrem Urteil: „Entgegen der Mitteilung der italienischen Behörden“ sei eine „Einbindung des Salvatore G. in die Rauschmittelgeschäfte der `ndrangheta“ nicht sicher festzustellen. In Reggio Calabria wurde jetzt für ebendiese Geschäfte zu 20 Jahren Haft verurteilt.
In einem weiteren Gerichtprozess in Kalabrien müssen sich zudem ein Promi-Gastwirt aus Erfurt sowie ein Gastronom aus Portugal verantworten, der in den neunziger Jahren ebenfalls in Thüringen sehr aktiv war.
Insgesamt waren im Rahmen der „Operation Eureka“ Anfang Mai 2023 mehr als 130 Verdächtige festgenommen worden. Die Ermittlungen hatten fast vier Jahre lang gedauert. „Eureka“ gilt bis heute als das größte internationalen Verfahren, das es im Kampf gegen die kalabrische Mafia je gab. Die Operation gab tiefe Einblicke in den Kokainhandel und das globale Netzwerk der ’ndrangheta-Clans, das aus kalabrischen Dörfern wie San Luca und Africo über Norditalien, Deutschland, Belgien, Spanien, Portugal bis nach Argentinien, Brasilien, Ecuador und sogar nach Australien reicht.