Para-Leichtathletik-WM: Markus Rehm – Zwischen Rekordträumen und Abschiedstränen

Stand: 01.10.2025 15:02 Uhr

Para-Weitspringer Markus Rehm tritt bei der WM in Neu-Delhi zu seinem letzten Wettkampf mit Trainerin Steffi Nerius an. Nach 16 Jahren endet eine besondere Partnerschaft – und gleichzeitig bleibt der Blick auf Medaillen und Rekorde gerichtet.

Für Markus Rehm ist die Para-Leichtathletik-WM in Neu-Delhi mehr als nur ein sportlicher Höhepunkt – sie ist auch ein Abschied. Nach 16 gemeinsamen Jahren wird sich der Weitspringer in der indischen Hauptstadt am kommenden Donnerstag zum letzten Mal mit seiner Trainerin Steffi Nerius an der Seite seinen Konkurrenten stellen. „Natürlich macht man sich Gedanken, wie es danach weitergeht. Aber wir beide freuen uns sehr auf diesen letzten gemeinsamen Wettkampf„, sagt Rehm.

Eine Erfolgsgeschichte über 16 Jahre

Dass sich das Erfolgsduo nach solch langer Zeit trennt, liege vor allem an neuen beruflichen Aufgaben von Nerius. „Sie war mit mir immer sehr, sehr ehrlich“, sagt Rehm. Als Leiterin des Sportinternats in Leverkusen wird sie künftig mehr Zeit für den Aufbau des Vollzeitinternats benötigen. „Die Steffi ist da eine Hundertprozentige und möchte allen Aufgaben maximal gut nachkommen.“

Seit 2008 bilden die beiden ein ungleiches, aber höchst erfolgreiches Duo. Nerius, Weltmeisterin im Speerwurf von 2009, brachte ihr Wissen und ihre Erfahrung ein, Rehm entwickelte sich unter ihrer Leitung zum dominierenden Para-Weitspringer seiner Zeit. Mehrfacher Weltmeister, Paralympics-Sieger, Weltrekordhalter: Kaum ein Titel fehlt in seiner Vita. „Wir arbeiten seit über 16 Jahren zusammen, sind ein tolles Team, da ist auch eine Freundschaft entstanden. Das darf ruhig emotional werden„, sagt er.

Nerius (l.) und Rehm bei den Paralympics

Dass es bei der letzten Einheit schwerfiel, den Trainingsplatz zu verlassen, wundert da kaum. „Verrückt war es schon. Am Mittwoch hatten wir das letzte gemeinsame Weitsprungtraining„, erzählt Rehm. „Einen Trainingsalltag ohne Steffi kann ich mir kaum vorstellen, aber ich bin sicher, wir bleiben im engen Austausch.“ Worte, die zeigen, wie sehr die 53-Jährige für ihn zur Konstanten geworden ist.

Zwischen Abschied und neuen Herausforderungen

Bei der WM in Neu-Delhi schließt sich für Rehm ein weiterer Kreis: 2009 bestritt er in Bangalore seinen ersten großen internationalen Wettkampf – nun, 16 Jahre später, kehrt er nach Indien zurück. „Das hat etwas Nostalgisches. Ich freue mich sehr darauf und bin gespannt„, sagt er. Ein Ort, der für ihn Anfang und Abschied zugleich markiert.

Die Bedingungen im Stadion werden allerdings zu einer echten Herausforderung. Bei Temperaturen von 35 Grad und mehr geraten Athleten und Betreuer schnell an ihre Grenzen. Rehm hat vorgesorgt: Späte Anreise, Schlafen im deutschen Rhythmus, vertrautes Essen. „Natürlich wäre es schön, auch weit zu springen, aber bei den Bedingungen wird das nicht einfach. Das Ziel ist klar: eine Medaille, am liebsten die Titelverteidigung.

Sportlich verlief die Saison solide, aber nicht ohne Hindernisse. Konstante Sprünge über die Acht-Meter-Marke bestätigten seine Klasse, doch der perfekte Rhythmus stellte sich nicht immer ein. Und dann kam Unruhe von außen. Kurz vor der WM verkündete der Weltverband eine neue Auslegung zur Sohlendicke von Schuhen. Plötzlich sollten die Vorgaben auch für Prothesen gelten.

Blick nach vorn: Rekordträume und Neuanfang

Für Rehm war dies ein Schock: „Das kam völlig überraschend. Ich musste kurz vor der WM meine Prothese umbauen.“ Weil die Regelauslegung für diese Titelkämpfe nach Protesten wieder ausgesetzt wurde, musste er „in den letzten zwei Trainingseinheiten noch mal meine Prothese umbauen. Das ist natürlich bitter, so kurz vor einem Höhepunkt.“

Trotz der Irritationen richtet Rehm den Blick nach vorn. Mit 8,72 Metern hält er den Weltrekord im Para-Weitsprung – und denkt über eine Attacke auf die eigene Bestmarke nach. „Es gab viele Hinweise, dass noch etwas geht. Gerade aus kurzen Anläufen habe ich Bestleistungen aufgestellt. Wenn man das mal auf einen vollen Anlauf übertragen könnte, dann könnte das spannend werden.“

Rehm wird im kommenden Jahr an dem Projekt arbeiten, die Bedingungen gezielt zu optimieren, um den Sprung seines Lebens zu setzen: Höhe, günstiger Wind, perfekte Abstimmung von Schuh und Prothese. Nicht zufällig erinnert er dabei an Bob Beamons legendären Weltrekord von 1968 in Mexiko City: „Höhe und Wind sind die beiden wichtigsten Faktoren – neben der Anlaufgeschwindigkeit. Da sehe ich noch Potenzial.

„Es gibt auch ein Leben nach dem Sport“

Dass er mit 37 Jahren noch Fortschritte in der Schnelligkeit macht, überrascht ihn selbst. Doch er weiß, wie fein die Stellschrauben im Spitzensport sind: „Es geht vielleicht nicht darum, deutlich schneller zu werden, aber mit perfekter Abstimmung, auch bei den Schuhen, lässt sich noch einiges herausholen. Die Geschwindigkeit umzusetzen, bleibt das Entscheidende. Ich glaube, da geht noch was.

Nach der WM schlägt Rehm ein neues Kapitel auf: der Wechsel in eine Trainingsgruppe nach Amsterdam. Dies bedeutet eine Zäsur, die ohne Nerius schwer vorstellbar ist, aber auch neue Impulse verspricht.

Beruflich arbeitet er projektbezogen, unter anderem für seinen Prothesenhersteller in Island. „Der Sport hat mir viel gegeben, aber ich weiß: Es gibt auch ein Leben nach dem Sport.“ Noch aber gilt die ganze Aufmerksamkeit dem Anlauf in Neu-Delhi – und dem letzten gemeinsamen Wettkampf mit Steffi Nerius.