Gravitationsgesetz der Umzüge: Studie zeigt Mobilitätsmuster – Wissen

Ein Umzug kann eine grauenvolle Erfahrung sein. Wenn man verzweifelt zwischen Kartons sitzt, in denen viel unnützes Zeug ist, aber nie das, was man sucht, kann einem die Redewendung „dreimal umgezogen ist wie einmal abgebrannt“ schon fast verharmlosend vorkommen. Und dann noch der Ortswechsel! Eigentlich unzumutbar.

Vielleicht ist das der Grund für ein Phänomen, das ein Team um Louis Boucherie von der Technischen Universität Dänemarks kürzlich in zwei großen Datensätzen beobachtet hat: Wenn die Leute schon umziehen, dann am häufigsten in der unmittelbaren Nachbarschaft. Oder wenigstens im gleichen Stadtviertel. Notfalls in der gleichen Stadt. Wenn es sein muss, einen Ort weiter. Na gut, innerhalb der Region. Vom Norden in den Süden? Gottbewahre.

Tatsächlich ist diese Hierarchie der Mobilität offenbar noch viel universeller als bisher angenommen, wie die Wissenschaftler in Nature Human Behaviour berichten. Schon vor Jahrzehnten hatten Forscher eine Art Gravitationsgesetz der Mobilität aufgestellt, zunächst anhand von Umzügen zwischen Städten. Etwas scheint die Menschen an ihrem Wohnort zu halten, egal wie unattraktiv dieser Außenstehenden erscheinen mag. Bei Münchnern würde man es ja verstehen, aber sogar Düsseldorfer oder Berliner ziehen mutmaßlich ungern weit weg. Mathematisch formuliert: Die Wahrscheinlichkeit für einen Umzug in eine neue Stadt ist in etwa umgekehrt proportional zu ihrer Entfernung.

Wo es keine Wohnung gibt, kann man auch nicht hinziehen

Die neue Arbeit zeigt nun, dass dieser Zusammenhang kontinuierlich auf sehr verschiedenen Längenskalen gilt, von wenigen Metern bis über Hunderte Kilometer: Je weiter entfernt, desto weniger Umzüge. Das ist nur auf den ersten Blick in den Daten nicht zu sehen. Denn Umzüge, das weiß man aus leidvoller Erfahrung, sind eine Frage von Optionen. Wo es keine Wohnung gibt, da kann man auch nicht hinziehen.

Um diesen Einflussfaktor herauszufiltern, errechneten die Forscher mit Methoden aus der Physik eine durchschnittliche Verteilung der Gebäude, die ein Umzugswilliger in unterschiedlichen Entfernungen von seiner Wohnung vorfindet. Ihr zentraler Datensatz umfasste 3,3 Millionen Adressen in Dänemark, zwischen denen von 1986 bis 2020 insgesamt 39 Millionen Mal umgezogen wurde. Betrachtet man die Häufigkeit der Umzüge im Verhältnis zur in diesem Abstand zu erwartenden Anzahl Wohnungen, kann man den Einfluss der Distanz erkennen. Dabei zeigte sich, dass der Reiz einer neuen Unterkunft tatsächlich in einem fast universellen Zusammenhang mit der Entfernung steht, egal ob man Umzüge über wenige Meter oder Hunderte Kilometer betrachtet: Doppelt so weit ist, im Mittel, nur etwa halb so schön.

„Diese Regelmäßigkeit ist faszinierend“, sagt Markus Schläpfer, der sich an der Columbia University mit Mustern menschlicher Aktivität in Städten beschäftigt. Zumal das Team um Boucherie einen ganz ähnlichen Zusammenhang bei Umzügen in Frankreich fand. Und sogar bei anderen Wegstrecken, die Bewohner von Singapur, San Francisco oder Houston etwa in der Freizeit zurücklegten. Dabei seien diese Städte doch sehr unterschiedlich, sagt Schläpfer: „Singapur ist sehr bewusst geplant, Houston sehr Auto-orientiert, San Francisco eine dichte Stadt, trotzdem scheint die Gesetzmäßigkeit überall zu gelten.“ So gesehen, enthalten solche Daten auch Botschaften für Stadtplaner: „Der Mensch ist ein soziales Wesen“, sagt Schläpfer, „er sucht Kontakt und Austausch.“ Und am liebsten bleibt er, wo er ist.