
Die Teillegalisierung von Cannabis ist zweifelsfrei eines der größten Liberalisierungsprojekte der jüngeren deutschen Geschichte. Seit vergangenem Jahr darf jeder im Garten oder auf dem Balkon bis zu drei Pflanzen züchten oder in einem Cannabisverein gemeinschaftlich anbauen und ernten. Außerdem lässt sich Cannabis leicht beschaffen über eine Onlineverordnung beim virtuellen Arzt, die Apotheke liefert die Blüten gegen Bezahlung an die Wohnungstür. Das erleichtert nicht nur Cannabispatienten das Leben, sondern auch Gelegenheitskifferinnen, denen der Eigenanbau zu aufwendig ist und die sich nicht an einen Verein binden wollen oder können. Endlich vorbei auch die Zeiten, da die Polizei Strafanzeigen schrieb, wenn sie jemanden mit Cannabiskrümeln in der Jackentasche erwischte.
In ihrer nun vorgelegten ersten wissenschaftlichen Evaluierung der Teillegalisierung von Cannabis hebt die vom Gesetzgeber beauftragte Forschergruppe Ekocan eine Haupterkenntnis hervor: Am Gesetz bestehe zurzeit kaum Korrekturbedarf. Das mag, so bekunden es die Wissenschaftler, mit dem Mangel an belastbaren Daten zu tun haben. Oder mit dem Umstand, dass der Konsum nicht explodiert ist: Unter Jugendlichen sinkt er seit Jahren, unter Erwachsenen steigt er leicht – unabhängig von der Teillegalisierung im April 2024.
All das wird die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken nur ungern hören. Ihre CDU ist im Verbund mit der Schwesterpartei CSU eine entschlossene Kämpferin gegen legales Cannabis. Wenn sich Warken von der Evaluierung Argumente erhofft hatte, die Teillegalisierung zurückzudrehen oder gar zu kippen, wurde die Ministerin enttäuscht.
Der Schwarzmarkt allerdings, den das Gesetz zurückdrängen sollte, ist noch immer eine wichtige Bezugsquelle, vor allem für Gelegenheitskiffer. Warkens Vorhaben, den Bezug von Selbstzahler-Medizinalcannabis auf dem Onlineweg zu verbieten, wird daran aber nichts ändern. Medizinalcannabis ist neben dem erlaubten, privaten Eigenanbau die meistgenutzte Bezugsquelle für Cannabisfreunde. Und wer als Gelegenheitskonsument dieses zertifizierte, saubere Gras raucht, bezieht es eben nicht vom Schwarzmarkt. Das ist – ungeachtet aller Suchtrisiken – eine gute Nachricht für die Polizei, die Justiz und alle, denen das teils verunreinigte Gras vom Dealer zu riskant ist.
Wer den Schwarzmarkt bekämpfen will, sollte die Hürden für Cannabisklubs senken
Gegen Warkens Rückabwicklungspläne spricht auch, dass der Sektor der Cannabisklubs bisher nahezu nichts zur Deckung des Cannabisbedarfs beiträgt. Das liegt laut der Evaluation daran, dass die Hürden nach wie vor viel zu hoch sind, einen solchen Klub zu gründen – vor allem das CSU-regierte Bayern sorgt mit vielen behördlichen Mitteln wie dem Baurecht dafür, dass Klubs teils freiwillig aufgeben. Will Warken den Schwarzmarkt tatsächlich austrocknen, muss sie die Hürden für die Cannabisklubs weiter senken: die Obergrenze der Mitgliederzahl erhöhen, die kostspieligen Sicherheitsvorschriften abschwächen. Die dafür notwendige Überzeugungsarbeit sollte die Ministerin leisten – in den eigenen Reihen der Union und bei den Landesregierungen.
Nicht nachvollziehbar ist auch, warum die private Weitergabe von Cannabis verboten ist und bleiben soll. Die Forschergruppe sieht den sogenannten social supply als eine der wichtigsten Bezugsquellen für Gelegenheitskiffer. Und wer die Überschüsse aus der privaten Ernte an Freunde und Bekannte weitergibt, trägt ohne Frage zur Schwächung des Schwarzmarktes bei. Vollkommen ausreichend wäre, den kommerziellen, gewinnorientierten Schwarzhandel zu bestrafen – wie ihn Dealer im Park betreiben oder illegale Onlinehändler über Social Media.
Eines würde den Schwarzmarkt aber am stärksten eindämmen: endlich den kontrollierten Handel von Cannabis zu erlauben. Warken täte gut daran, die schon zu Zeiten ihres Amtsvorgängers Karl Lauterbach geplanten Modellprojekte voranzubringen, in denen unter wissenschaftlicher Aufsicht Cannabis an einen vorher registrierten Kundenstamm verkauft werden soll. Die dafür notwendige Rechtsverordnung existiert seit Monaten, erste Cannabislieferanten, Universitäten und Kommunen haben bereits die notwendigen Kooperationen vereinbart.
Es ist höchste Zeit, den unseligen Kulturkampf ums Cannabis zu beenden. Angesichts der wenig alarmierenden Resultate der Cannabis-Evaluation sollte sich die Gesundheitsministerin genau überlegen, ob sie im Sinne ihrer politischen Klientel die Hürden für legalen Cannabiskonsum weiter hochsetzt und Deutschland dadurch um Jahre zurückwirft; oder ob sie durch schonende Korrekturen am Cannabisgesetz Wege öffnet, um der Legalisierung endgültig zum Durchbruch zu verhelfen.