Skispringen: Debatte um Sicherheit beschert neue Frauen-Anzüge

Die Bilanz der Generalprobe für die Olympischen Spiele auf den Skisprungschanzen im norditalienischen Val di Fiemme ist bedenklich ausgefallen. Es gab drei schwere Verletzungen auf der Anlage und anschließend heftige Diskussionen über die Flugkurve der Kleinschanze. Die Weltklassespringerinnen Eva Pinkelnig aus Österreich und die Kanadierin Alexandria Loutitt sowie die japanische Kombiniererin Haruka Kasai haben sich im Anschluss an ihre Landungen so schwer am Knie verletzt, dass sie für die Winterspiele im Februar ausfallen.

Diese Häufung, noch dazu von Stars ihres Metiers, hatte handfeste Ursachen, die nach vielen Analysen und Unterredungen Konsequenzen nach sich zogen, die auf der Herbsttagung des Internationaler Skiverband (FIS) in Zürich beschlossen wurden.

„Fehlplanung“ und „Fehlkonstruktion“

Pinkelnig, Loutitt und Kasai riss jeweils ein Kreuzband im Knie. Bei Pinkelnig kamen noch Meniskusrisse und ein Knorpelschaden hinzu. Daraufhin „war das Nervenkostüm bei allen etwas angespannt. Der Fokus lag auf dem Sicherheitsfaktor“, sagte Heinz Kuttin, der Bundestrainer der deutschen Skisprung-Frauen. Pinkelnig und Kasai verletzten sich nach Sprüngen von der Normalschanze.

Nach den Wettkämpfen wurde vor allem die Flugkurve der Anlage kritisiert, denn die Athletinnen und Athleten werden nach dem Absprung hoch in die Luft katapultiert. Das hat zur Folge, dass die Flugkurve nach unten hin abbricht und die Landung schnell aus großer Höhe erfolgt, woraus sich eine große Belastung für die Gelenke und Bänder ergibt. Aus Funktionärskreisen sind bei der Beschreibung der Kleinschanze von Predazzo bereits deftige Substantive wie „Fehlplanung“ und „Fehlkonstruktion“ zu vernehmen.

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Hinzu kommt, dass die neuen, enger taillierten Anzüge im Vergleich zu den weiter geschnittenen Vorgängermodellen eine höhere Fluggeschwindigkeit befördern, weil sie weniger Luftwiderstand bieten. Schließlich hatten auch die besonderen Umstände im Val di Fiemme einen erheblichen Einfluss: Die Schanzen liegen auf 1000 Meter Höhe, die Luft ist dort oben dünner als in flacheren Bereichen. Und zur Sprungzeit am Abend herrschten Rückenwindverhältnisse, die wiederum die Anfahrtsgeschwindigkeit erhöht hatten.

Es sei „viel zusammengekommen“, sagte Andreas Bauer, der Chef der Materialkommission der FIS im Gespräch mit der F.A.Z. Vorschläge, die für mehr Sicherheit bei der Landung der skispringenden Frauen sorgen können, hat er mit seinem Team schnell erarbeitet und beim aktuellen Meeting in Zürich der Materialkommission und dem Sprungkomitee, das Vertreter aller beteiligten Nationen versammelte, erläutert und zur Abstimmung gestellt.

„So sind Sprünge besser zu stehen“

Mit Mehrheit wurde beschlossen, dass die Anzüge bei den Frauen erweitert werden sollen. „Dadurch verlangsamt sich die Flug- und auch die Landegeschwindigkeit, weshalb Sprünge besser zu stehen sind. Dazu liegen uns wissenschaftliche Erkenntnisse vor“, sagte Bauer. Er erklärte die Fakten am Beispiel der Gleitschirmflüge: „Wer dabei ein großes Segel besitzt, gleitet langsamer ins Tal als jemand, der ein kleines Segel besitzt. Der fällt schneller hinunter.“

Entsprechend sei entschieden, „den Frauen minimal mehr Fläche bei den Anzügen hinzuzugeben“. Der Umfang wird um einen Zentimeter von vier auf fünf erhöht. „Dadurch wird die Vertikalgeschwindigkeit nach dem Absprung etwas langsamer“, sagt Bauer. Außerdem sollen die nachjustierten Anzüge zwei Zentimeter mehr Fläche im Schritt erhalten, damit sich die Landegeschwindigkeit verringert. „Das waren die Hausaufgaben, die wir als Materialkommission erledigen konnten“, sagte Bauer.

Das sieht auch Horst Hüttel so, der Sportdirektor für den nordischen Bereich des Deutschen Skiverbandes (DSV): „Das geht definitiv in die richtige Richtung.“ Bei den Männern wiederum sei dieser Schritt laut Bauer nicht nötig gewesen: „Dort herrscht allgemeine Zufriedenheit.“ In der Praxis bedeutet der Beschluss, dass die Frauen neue Anzüge benötigen. Denn zu weite Sprung-Suits lassen sich enger nähen, enge aber nicht weiten.

Das ist für den DSV mit Mehrkosten von 20.000 Euro verbunden. „Den Aufwand müssen wir einfach tragen, denn es geht hier um die Sicherheit der Athletinnen“, sagte Hüttel. Der Ursprung aller Veränderungen des Materials ist der Anzugbetrug der norwegischen Mannschaft bei der Ski-WM in Trondheim im März dieses Jahres. Daraufhin beschloss Bauers Kommission eine Neukonzeption aller Anzüge.

Jeder Anzug muss in den TÜV

Zudem wurde das Messprozedere im Zusammenspiel mit dem neu verpflichteten Materialkontrolleur Matthias Hafele professionalisiert. Jeder Sprunganzug muss durch einen „Technical Approval“ genannten TÜV. Danach wird er gechippt und darf in den Wettkämpfen benutzt werden. Das nimmt 15 Minuten pro Exemplar in Anspruch.

Von den Schanzenarchitekten in Predazzo wiederum wird erwartet, dass sie den Neigungswinkel der kleinen Anlage am Absprungtisch flacher gestalten, um die Absprunghöhe zu reduzieren. „Darüber reden wir mit dem Organisationskomitee in Predazzo. Wir können da Veränderungen erwarten“, kündigte Sandro Pertile an, der für Skispringen zuständige Renndirektor der FIS.