Wie Lufthansa die Wende schaffen will – Wirtschaft

Es sind ungewöhnliche Probleme, mit denen sich die Flottenplaner bei der Lufthansa herumschlagen müssen. Niemand sonst, zumal keine der großen internationalen Fluggesellschaften, fliegt überhaupt noch die Boeing 747-400. Sie ist viel zu alt, zu wartungsanfällig, wirtschaftlich und ökologisch nicht mehr zu vertreten. Und schon gar nicht den ebenfalls viermotorigen Airbus, der vielen bereits vor Jahren als Fehlkonstruktion galt, weil längst zweimotorige Langstreckenjets viel sparsamer unterwegs waren. Fast 20 Prozent der Maschinen stehen mittlerweile in Frankfurt in Reserve. Für den Fall, dass wieder einmal etwas kaputtgeht, und sei es die Toilette.

Die veraltete Flotte ist einerseits wahrscheinlich das Kernproblem, aber auch ein Symbol für den Zustand der Fluggesellschaft. Lufthansa Airlines, die Hauptmarke der Lufthansa Group, ist derzeit die wirtschaftlich schwächste Fluglinie unter den Großen der Welt. Lufthansa Airlines hofft derzeit, 2025 wenigstens keine Verluste einzufliegen. Zugleich schafft British Airways eine operative Marge von 16 Prozent. Selbst die lange als besonders ineffizient geltende Air France kommt auf sieben Prozent, für die traditionell margenschwache Branche ist das kein schlechter Wert.

Am Montag muss Lufthansa den Analysten erklären, wie sie es künftig besser machen will. Zum ersten Mal seit sechs Jahren veranstaltet sie einen Kapitalmarkttag, und die Lage ist angespannt. „Keine Entschuldigungen mehr“, fordert Bernstein-Research-Analyst Alex Irving vor dem Termin. Er setzt auf eine Runderneuerung in vielen Bereichen, vor allem auf mehr Effizienz. Und Lufthansa will liefern: Im mittleren Management sollen sehr viele Stellen wegfallen. Wie viele, das wird Konzernchef Carsten Spohr wohl am Montag verkünden. Die Rede ist von 3000 bis 4000 Jobs vor allem in der Verwaltung, die bedroht sein könnten, von zuletzt 103 000 Mitarbeitern insgesamt.

Bei Piloten und Flugbegleitern sollen betriebliche Regelungen vereinfacht werden, um produktiver zu werden – Arbeitsplätze werden hier aber nicht abgebaut. Dafür endet am Dienstag die Urabstimmung der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit. Wahrscheinlich wird sie für einen Streik stimmen. Doch das kann der Konzern verkraften. Die wahren Probleme sind sie Flotte und die Integration.

Bei der Lufthansa ist anders als bei der Konkurrenz etwas schiefgelaufen

Besonders bedenklich wirkt die Entwicklung der Lufthansa, wenn man, wie es die Analysten von Bernstein Research gemacht haben, einmal ins Jahr 2019 zurückblickt und die Rendite des letzten Jahres vor der Corona-Pandemie betrachtet: Lufthansa kam damals auf knapp acht Prozent, Air France auf unter zwei. Es ist also bei Lufthansa speziell in den vergangenen sechs Jahren etwas schiefgelaufen. „Wir waren die letzten Jahre mit der Performance nicht zufrieden“, sagt Carsten Spohr.

„Das Kernproblem ist die Produktivität“, schreibt Irving. „Das Airline-Segment (des Konzerns) hat eine kleinere Flotte als 2019 (…), beschäftigt aber mehr Menschen.“ Die also derzeit äußerst ineffiziente Airline operiert auch noch von zwei Drehkreuzen in München und Frankfurt aus, die zu den weltweit teuersten Flughäfen gehören. Überhaupt beklagt Spohr häufig, dass einige Kosten wie Sicherheitsgebühren an den Flughäfen oder die Flugsicherung stark gestiegen seien, manche sich sogar verdoppelt hätten. Die staatliche Deutsche Flugsicherung etwa legt die Verluste aus der Corona-Zeit auf die künftigen Gebühren um. Und da in Deutschland immer noch insgesamt weniger geflogen wird als 2019, steigen sie pro Flug noch stärker an. Eine Abwärtsspirale?

„Ohne die Flottenmodernisierung könnten wir nicht wettbewerbsfähig werden“, sagt Airline-Chef Jens Ritter. „Die Lufthansa-Flotte hat sechs verschiedene Großraumflugzeuge und die (Boeing) 777X kommt“, so Bernstein-Analyst Irving. „Nach unserer Einschätzung gibt es selten einen guten Grund, mehr als vier unterschiedliche Typen einzusetzen.“ Irving allerdings glaubt, dass die Vertriebsorganisation der Airline zu viel Macht hat, die Bedenken des Flugbetriebes überstimmt und viele unterschiedliche Muster haben will, die auf wenige Strecken gut passen. So war es Lufthansa, die Boeing gedrängt hat, mit der 747-8 eine größere und modernere Version des Jumbo-Jets zu bauen, weil sie ein Flugzeug brauchte, das größenmäßig zwischen den Airbus A380 und die kleinere A340 passt. Nur Air China und Korean Air haben auch noch ein paar der Flugzeuge gekauft.

In dem Fall stimmt, dass auch andere Schuld haben

Dass aber die altehrwürdige 747-400 immer noch für die Kranich-Airline über den Nordatlantik donnert, hat auch viel mit Pech zu tun. Für das Jahr 2020 hatte Boeing die ersten neuen 777-9 angekündigt, die bei Lufthansa die 747 ersetzen sollten. Doch bis heute kam nichts. Immer noch wartet die Fluglinie auf die insgesamt 27 bestellten Flugzeuge. Es gab technische Probleme mit den Motoren, ein paar Dinge mussten umkonstruiert werden, die European Aviation Safety Agency (EASA) hatte andere Vorstellungen von den Zulassungskriterien als die amerikanische Federal Aviation Administration (FAA).

Nach den beiden Abstürzen von zwei Boeings 737 MAX, bei der die FAA auch wegen schlechter Aufsicht eine, gelinde gesagt, unglückliche Rolle gespielt hat, ist die Behörde geradezu panisch bemüht, ja nicht noch einen Fehler zu machen. Hat sie früher vieles einfach durchgewinkt oder die Zulassung gleich an Boeing delegiert, dreht sie heute jedes Detail dreimal um. „Was normalerweise 40 Tage dauert, zieht sich jetzt auf neun Monate“, klagt auch Emirates-Airline-Chef Tim Clark.

Gerade erst hat Boeing wieder einmal angedeutet, dass es doch nichts mit dem zuletzt versprochenen Liefertermin zum Juni 2026 werden wird und die Schuld ziemlich eindeutig auf die FAA geschoben. Ritter und seine Leute haben vorsichtshalber noch einmal einen Puffer eingeplant, aber im März 2027 brauchen sie die Maschine wirklich. Auch deswegen, weil sie dann so ziemlich alles aus den alten Flugzeugen herausgeholt haben, was geht. Wenn die Bremsen der A340-600 verschlissen sind, können die Maschinen nicht mehr eingesetzt werden. Im Extremfall müsste Lufthansa Strecken aufgeben.

Die 777-9 ist nicht der einzige Boeing-Jet, auf den Lufthansa wartet. Über viele Monate standen 15 fertige kleinere 787-9 vor dem Werk in Charleston und warteten darauf, dass die Sitze der Business-Class zugelassen werden. Zwischenzeitlich ist die Lufthansa so verzweifelt gewesen, dass sie die Maschinen nun auch ohne zertifizierte Business-Sitze übernimmt und die Premium-Klasse bis auf eine Reihe leer durch die Gegend fliegt. Erst Ende des Jahres soll das Problem gelöst sein. Zu den derzeit sechs Maschinen sollen bis Ende 2026 weitere 18 stoßen. Immerhin zwölf der alten 747 und A340 sollen dann ausgemustert werden, und ein bisschen Wachstum ist auch wieder drin.

Drei Horror-Sommer in Folge

2026 wird dann auch das erste Jahr sein, in dem Lufthansa die Zahl der Reserve-Flieger zurücknimmt. Sie hat drei Horror-Sommer hinter sich, als nach der Pandemie nichts funktionierte, und nun große Puffer eingebaut – bei den Flugzeugen, den Mitarbeitern oder auch den Flugzeiten, nur um nicht wieder Chaos zu verursachen. Aber: „Keine Airline kann dauerhaft mit 20 Prozent Reserven operieren“, so Ritter. „Wir werden nächstes Jahr die Reservequote um mindestens 25 Prozent senken, um die Produktivität zu erhöhen.“

Die neuen Flugzeuge mögen einen großen Teil zu mehr Produktivität beitragen, bei den Mitarbeitern, vor allem den Piloten, bleiben die grundsätzlichen Probleme. Die Besatzungen von Lufthansa Airlines sind extrem teuer und profitieren von über Jahrzehnten gewachsenen Strukturen.

Zwar hat es Fortschritte bei Einsatzplanung und operativen Details gegeben, die, so Ritter, dazu geführt haben, dass Lufthansa 150 weniger Piloten neu einstellen muss. Aber die Airline ist damit noch lange nicht wettbewerbsfähig: Vor der Pandemie etwa waren die Europa-Strecken profitabel, heute fliegt Lufthansa mit ihnen hohe Verluste ein. Einfach zurückziehen kann sie sich nicht, denn sie ist auf die Umsteiger für die Langstrecken in München und Frankfurt angewiesen. Ein Effizienzprogramm soll bis 2028 das Ergebnis der Kernmarke brutto um 2,5 Milliarden Euro verbessern.

Längst hat sie begonnen, das Europageschäft auf die günstigeren Töchter zu übertragen. Alles, was nicht die Drehkreuze berührt, mache längst Eurowings und dies mittlerweile wirtschaftlich ziemlich erfolgreich. Mehr und mehr Ferienstrecken in Frankfurt und München gehen an Discover. Seit vergangenem Jahr ist City Airlines am Start und baut so schnell wie möglich eine Flotte von Airbus A220 und A320neo auf, die Zubringerdienste fliegen.

Spohr hat auch die Zukäufe im Ausland fortgesetzt. Zuletzt hat sich Lufthansa 42 Prozent der Anteile an ITA Airways gesichert. Doch hier hapert es auch, vorwiegend an der Integration. Technologiechefin Grazia Vittadini soll die IT besser aufeinander abstimmen. Im Netz sind bislang nur die Langstreckenflüge von Austrian, Brussels, Swiss und Lufthansa einigermaßen koordiniert, sodass nicht alle gleichzeitig etwa nach New York fliegen, sondern besser über den Tag verteilt.

Ritter verspricht sich viel davon: „Unsere größte Achillesferse ist der Kontinentalbetrieb“, sagt er. „Wir haben viele Umsteiger, die nicht auf die Langstrecke wechseln, sondern auf der Kurzstrecke weiterfliegen. Stockholm-Lissabon kann man über Frankfurt, München, Zürich, Brüssel und Wien fliegen – aber macht das wirklich Sinn?“ In manchen Fragen steckt schon die Antwort.