
„Das Aufstiegsversprechen, das ist kaputt!“, ruft Dennis Radtke, Vorsitzender des CDA, des christlichen Arbeitnehmerflügels der CDU, in den Saal in Frankfurt am Main. An diesem letzten Sommerwochenende des Jahres versucht Radtke, seine Truppe auf schwierige Zeiten einzuschwören, passenderweise in den Räumlichkeiten der IG Metall.
In der jetzigen Lage, so Radtke, verböten sich „Sozialreformen mit der Kettensäge“ – er zielt damit auch auf die neue Bundesregierung unter seinem Parteifreund Friedrich Merz, den er übrigens dreimal nicht gewählt habe. Überall in Europa seien konservative Parteien untergegangen, die versucht hätten, sich den Rechtspopulisten anzuverwandeln. Zu glauben, man sei als CDU davor irgendwie gefeit, das, so Radtke, „ist doch einfach nur dämlich!“.
Der Arbeitnehmerflügel der Union schwächelt bekanntlich schon länger; die Zeiten, in denen Repräsentanten wie Norbert Blüm oder Heiner Geißler politisch den Takt vorgaben, sind vorbei. Über zwei Drittel der Bundestagsfraktion gehören dem wirtschaftsnahen Parlamentskreis Mittelstand an, an der Parteispitze ist keiner ihrer Vertreter mehr. Und in einer Koalition mit Sozialdemokraten ist es noch einmal ein bisschen komplizierter, soziale Politik zu vertreten und trotzdem unterscheidbar zu machen.
Unter Dennis Radtke hat die CDA ein bisschen mehr Luft unter die Flügel bekommen. Radtke, Industriekaufmann und Sprössling einer sozialdemokratischen Familie aus Wattenscheid, hat im Ruhrgebiet sehr genau vor Augen, wie immer mehr Arbeiter, auch türkeistämmige, zur AfD gehen. Für ihn ist deshalb Industriepolitik – Stahlgipfel, Energiepreissenkungen, Transformationsfonds – Demokratievorsorge.
Die CDU dürfe „nicht in jede Falle tappen, die andere für uns aufstellen“, meint Radtke, sich nicht in Kulturkämpfe wie um den ermordeten Charlie Kirk verwickeln lassen oder sich am Thema Migration festbeißen. „Das kann man nicht gewinnen.“ Das ganze Gerede von der „Brandmauer“ gehe ihm auf die Nerven: „Wir sind die Brandmauer!“
Radtke hatte den Saal auf seiner Seite, genau wie die CDA-Galionsfigur Karl-Josef Laumann, den nordrhein-westfälischen Gesundheitsminister, der gerne ins Bundeskabinett eingezogen wäre – von Friedrich Merz aber dem Vernehmen nach nicht einmal angerufen wurde. Er ist stellvertretender Parteivorsitzender, nun stellte die CDA ihn für das Parteipräsidium auf.
Mit Spannung erwartete die Versammlung den Auftritt von Jens Spahn, der in aufgeräumter Angriffslust lieferte, was von ihm erwartet worden war – und bekam durchaus vereinzelt Applaus. „Wer Böhmermann im Programm hat“, so Spahn, „der kann ruhig auch eine Julia Ruhs ins Programm nehmen“, sagte der Fraktionschef mit Blick auf die aktuelle Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Spahns Konzept zum Erhalt der Demokratie ist nicht Industriepolitik, wie bei Radtke, sondern Wachstum – gerne auch in der Rüstungsindustrie und mit Verbrennern. Einig waren sich Radtke und Spahn in Sachen AfD. Spahn, dem die letzte Rede der AfD-Chefin Alice Weidel im Bundestag noch in den Knochen saß, nannte die Partei „Kostüm-Konservative“, sie seien „radikal, nicht bürgerlich“, und ihre Verbindungen nach China und Russland seien „Verrat am Vaterland“.
Spahn blieb gern für Fragen, die keineswegs alle feindselig waren. Eine Pflegedienstleitung dankte Spahn sogar für seine Maskenbestellungen in der Coronazeit. „Wir hatten nichts, Sie haben geholfen, danke dafür.“ Spahn ließ es sich nicht nehmen, auch vor der Diktatur des Proletariats zu warnen. Die Atmosphäre war lebendig, die Debatte nicht choreografiert, die Empörung über schwarz-rote Pannen genauso ungefiltert wie die Freude über das Bestehen der CDU in den NRW-Kommunalwahlen. Zum Schluss das Lied der Deutschen.
