
Wer in der Lübecker Altstadt auf den Spuren von Thomas Mann oder Günter Grass unterwegs ist, könnte auf die Idee kommen, in einem der wunderbaren Buddenbrook’schen Stadthäuser gut essen zu gehen, um ein wenig von der bürgerlich-hanseatischen Atmosphäre mitzubekommen. Dafür gibt es tatsächlich eine Lösung, und das auch noch in einem der schönsten Viertel mit kleinen, interessanten Geschäften und einer vielfältigen Gastronomie.
Das Restaurant der Wahl hat den Namen seiner Inhaberin, Johanna Berger, und man ist sofort von einem Interieur gefangen, in dem man sich sonntäglich-festliche Essen vorstellen kann – mit Kerzen und Leuchtern und adäquat gekleideten Gästen. Der Gast isst im Günter-Grass-Zimmer, im Angesicht eines Porträts des großen Wahl-Lübeckers, der – wie man weiß – gutem Essen und Wein nicht abgeneigt war. Das Essen hier hat seine speziellen Momente – auch wenn die Auswahl auf der Karte eher klein ist.

Beim „Gebeizten Saibling, Kefir, Fingerlimes“ (16 Euro) bekommt man keineswegs nur den Fisch mit der speziellen Zitronensorte „Fingerlimes“, sondern eine ungewöhnlich große Ansammlung von Dingen. Es gibt aufgerollte Zucchinistreifen, eine Rote Bete-Scheibe, Tomaten, Blüten, Dill, ein vorgegartes Rotkohlgemüse, ein halbiertes Wachtelei und weitere kleine Elemente. Da muss man den Fisch erst einmal freilegen. Der ist dann auch so weit in Ordnung. Bestimmt wird das Essen aber davon, dass man hier bei jedem Bissen etwas anderes bekommt, was erst einmal kurzweilig wirkt.
Die „Vorspeisenvariation“ (22 Euro) bietet neben einer Probe von dem Saibling in der Mitte Burrata mit einer Art Tomatenmarmelade und Basilikum – gut und klar im Aroma. Dann ein Vitello Tonnato der etwas üppigeren Form mit einigen Scheiben Fleisch und viel Soße und Kapern – ebenfalls zuverlässig. Am interessantesten ist eine größere Ansammlung von mariniertem und angetrocknetem Rohfleisch, bei der es mit den kleinen Elementen dazu ungewöhnliche Akkorde gibt. Und dann wäre da auch noch ein Kichererbsenpüree mit Rucola und Radieschen.

Und weil man im Günter-Grass-Zimmer sitzt, kommt schnell die Assoziation, ob man solche vielfältigen Gerichte lesen kann wie ein Stück Literatur: also ob man in den eigenen kulinarischen Erinnerungen an anderes Überraschendes oder auch an nicht so gern Gemochtes hin und her wandert. Da aber das Angebot so vielfältig ist, überwiegen eher die schnellen Sinneseindrücke. Hätte man nur ein Stück Fisch mit Soße, ginge es wohl eher in die Tiefe, zum besonders feinen Schmecken.
Hier bei Johanna Berger bleiben die Eindrücke ungeordnet und zufällig. Beim „Zander, Safran-Risotto, Fenchel“ (42 Euro) gibt es wenig Fenchel, aber diverse andere Gemüse, die allerdings nicht besonders gut abgestimmt wirken. Dafür stammt das Stück Fisch von einem großen Exemplar und hat eine schöne Butterkruste. Auch das Risotto gefällt, sodass man nicht unbedingt das komplette Gemüse essen muss.

Der „Hirschrücken mit Waldpilzen und Preiselbeere“ (49 Euro) hat einen ähnlichen Aufbau, aber so viele Gemüsebeilagen, dass man sich die Frage stellt, ob in der Küche ein wenig das Vertrauen in die Qualität der Hauptprodukte fehlt. Anders als bei der Vorspeisenvariation wandert man da nicht durch interessante kulinarische Landschaften, sondern verirrt sich eher im Dickicht der Gemüse. Vielleicht setzt man auf eine Art kulinarische Überwältigung und ein erstes Aha-Erlebnis. Das Potential dieser Küche, das im Grunde für angenehme und zuverlässige Qualitäten sorgt, ist da etwas verschüttet.
Der sehr freundliche Service passt jedenfalls gut zum Haus. Und die Weine (ein Sancerre Pierre Prieur und ein Nero d’Avola Vanitá) sind zwar nicht schlecht, aber vielleicht etwas schwungvoll kalkuliert (0,2 Liter Nero für 13,50 Euro). Aber man ist schließlich mitten in Lübeck und hat eine Atmosphäre, die stimmig ist. Das zählt auch.