Katherina Reiche: Bremst sie die Energiewende?

Man kann die deutsche Energiewende als Erfolgsgeschichte erzählen, was ja teilweise auch zutrifft. Inzwischen kommen fast 60 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. Die installierte Leistung der Solarmodule zum Beispiel hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt: 102 Gigawatt sind es jetzt, bis zum Ende des Jahrzehnts sollen es 215 werden. Bei den Windrädern läuft der Anstieg zwar langsamer, da sind erst 66 Gigawatt installiert – aber es wurden so viele Projekte genehmigt, dass bald ein großer Bauboom losbrechen dürfte.

Man kann die Geschichte aber auch andersrum erzählen: In Wetzlar schließt demnächst das einzige hessische Stahlwerk, 470 Mitarbeiter sollen ihre Jobs verlieren. Der dortige Elektro-Lichtbogenofen läuft mit Strom statt mit Kohle und ist besonders klimafreundlich – aber er rentiert sich nicht mehr, unter anderem wegen der hohen Strompreise. Und das Statistische Bundesamt meldet, dass 4,2 Millionen Menschen vergangenes Jahr in Haushalten lebten, die ihre Energierechnungen nicht pünktlich bezahlen konnten. Jeder Zwanzigste.

Die ehrliche Antwort zur Energiewende lautet also: Zwar kommt der Ausbau der erneuerbaren Energien voran, vor allem dank des Einsatzes des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck. „Aber wir haben die Kosten ein bisschen aus den Augen verloren“, sagt Alexander Kox, Chef der Beratungsfirma BET Consulting. Am Montag stand er in Berlin neben der neuen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und stellte den von ihr beauftragten Zwischenbericht zur Energiewende vor, den sein Unternehmen mit dem Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln verfasst hat. „Wir müssen das alles ein bisschen intelligenter machen“, sagt Kox.

Der Auftrag von Reiche an die Experten lautete: Vorschläge zu erarbeiten, wie Deutschland im Jahr 2045 klimaneutral, aber die Energiewende günstiger und effizienter wird. Dass das nötig ist, sagen Ökonomen und Energiemanager schon seit Jahren. Denn der bisherige Weg, der die Erneuerbaren in Deutschland groß gemacht hat, ist an seine Grenzen gestoßen. Er führt an drei Stellen zu teuren Kuriositäten:

Da ist erstens der ungesteuerte Zubau. Investoren errichten Windräder und Solaranlagen dort, wo es ihnen verlockend erscheint. Die Netzbetreiber müssen diese Anlagen dann anschließen und ihre Netze für viel Geld ausbauen. Die Kosten legen sie auf den Strompreis um. Seit Jahren steigen folglich die Netzentgelte rasant und verteuern den Strom.

Da sind zweitens schädliche Anreize. Der Staat garantiert den meisten der grünen Kraftwerke für 20 Jahre einen festen Abnahmepreis. Deshalb speisen sie ständig so viel Strom wie möglich ins Netz ein. Solaranlagen auch dann noch, wenn so manches regionale Netz an einem sonnigen Tag schon kurz vor dem Kollaps steht und „uns der Strom zu den Ohren rauskommt“, wie es Alexander Kox ausdrückt, der Mann für klare Worte. Doch selbst wenn der Strompreis deshalb auf null sinkt, fließen die Subventionen weiter.

Und da wird drittens Geld für nichts gezahlt. Noch immer werden regelmäßig Windräder in großer Zahl abgestellt, wenn der Wind besonders heftig weht. Es fehlen Übertragungsleitungen, um den Strom von der Küste zu den Fabriken im Süden zu leiten. Dafür sind Entschädigungen an die Windparkbetreiber fällig. Die Kosten der Engpässe lagen im vergangenen Jahr bei 2,8 Milliarden Euro.

All das bezahlen die deutschen Stromkunden. Was die neue Wirtschaftsministerin macht, ist also grundsätzlich richtig: Sie lobt die Energiewende als Erfolg und will sie gleichzeitig verändern. „Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit sind ebenso zu berücksichtigen wie der Klimaschutz“, sagt sie.

Bei Umweltschützern galt Reiche schon vor diesem Montag als mögliche Totengräberin der Energiewende, als Vertreterin der „fossilen Gaslobby“. Aber ist dieser Vorwurf fair?

Beeindrucken lässt sie sich davon bei ihrem Auftritt jedenfalls nicht. Sondern spricht wieder einmal erstaunlich schmerzfrei unbequeme Dinge aus. Zum Beispiel, dass sich private Solaranlagen auf Hausdächern auch ohne staatliche Strompreisförderung lohnen, vor allem wenn sie mit einer Batterie im Keller kombiniert werden. Eine Subventionierung sei „nicht mehr notwendig“, sagt Reiche also. „Wir brauchen die Förderungen für die großen PV-Freiflächenanlagen.“ Und für die werde man künftig einen Höchstpreis beim Verkauf ihres Stroms festlegen. Dann müssen die Betreiber bei hohen Energiepreisen einen Teil ihrer Übergewinne abgeben. Für die Steuerzahler ist das eine gute Nachricht.