
Da stand sie also als Antwort auf die Frage „Is Fashion Modern?“, ausgestellt neben dem Trenchcoat, dem roten Lippenstift und dem kleinen Schwarzen. 2017 hatte das New Yorker Museum of Modern Art gefragt, welche Modestücke unsere Kultur nachhaltig geprägt haben. Die Marinière, das bretonische Streifenshirt, war Nummer 17 von 111 auserwählten Objekten der Ausstellung „Items: Is Fashion Modern?“.
Tatsächlich ist kaum ein Kleidungsstück so beständig wie das „Breton Shirt“. So setzten auch in diesem Sommer von den Fast-Fashion-Marken bis hin zu den großen Modehäusern viele auf Blau in knalligen bis gesetzten Nuancen auf weißem Grund. In einem ohnehin sehr streifenlastigen Sommer fand die klassisch französische Ausführung Anklang, passt sie doch zu der im Trend liegenden Rückbesinnung auf cleane und nostalgische Looks.
An der bretonischen Atlantikküste begann die Geschichte der Marinière
Dior verwandelte das Ringelshirt in einen eng anliegenden, schulterfreien Body mit klassischen schwarzblauen Streifen. Bei Jean Paul Gaultier tauchten sie als Trompe-l’œil-Tattoos auf transparentem, hautfarbenem Mesh auf. Der Modeschöpfer aus Arcueil erfand die Marinière zu seinen Zeiten ständig neu. Der Seemann ist gleichermaßen Mythos und Muse des französischen Designers, der sich 2020 aus dem Tagesgeschäft zurückzog. Kindheitserinnerungen am Meer und Jean Genets Roman „Querelle de Brest“ sowie die Verfilmung des Stoffes durch Rainer Werner Fassbinder prägten sein romantisiertes Bild der Seeleute.

Eben bei jenen, die in den Fischerdörfern an der bretonischen Atlantikküste lebten, viele Jahre vor Gaultier, begann die Geschichte der Marinière. Gestrickt aus Wollgarn, wärmte sie die Männer gegen Wind und peitschende Gischt. Und ging einer auf hoher See über Bord, halfen die Streifen auf weißem Grund, ihn im Grünblau der Wellen zu erkennen.
Wohl deswegen wählte die französische Marine die Marinière 1858 als Unterkleid für die Seeleute, die das Streifenshirt von nun an unter der Matrosenbluse trugen. Exakt 21 weiße und blaue Streifen mit einer Breite von 20 beziehungsweise zehn Millimetern mussten sie fassen, der Legende nach einen für jeden Sieg Napoleons gegen die Briten.

Rund 60 Jahre später trug Coco Chanel das Streifenshirt erstmals in die Chroniken der Stilgeschichte ein. Der Erzählung nach spazierte sie 1913 am Strand des normannischen Badeortes Deauville, als sie die Seeleute in ihren gestreiften Shirts beobachtete. Angetan von der maritimen Leichtigkeit der Szenerie, trug Chanel von da an selbst Marinière – und erschuf einen der ersten Unisex-Looks der Modegeschichte. Das ist dann wohl ein weiteres Erfolgsgeheimnis des Klassikers: Egal, welches Geschlecht die Marinière trägt, gut sieht es immer aus. So zeigte Chanel 1916 eine seidene Ausführung der Seemannskluft in ihrer Damenkollektion. Seitdem gehört die Marinière zu diesem Modehaus. Auch Karl Lagerfeld griff für seine „Croisière“-Kollektionen – Damenmode für die Sommerkreuzfahrt – immer wieder zu Variationen der Marinière.
Bei Saint James, Orcival und Armor Lux findet man den Klassiker
Dass die gestreiften Shirts nicht nur Seemännern standen, erkannte auch die junge Brigitte Bardot, die dem burschikosen „French Riviera“-Look eine weibliche, sinnliche Note schenkte. Stilprägend war ihr Auftritt im Breton-Shirt in Jean-Luc Godards Film „Die Verachtung“ aus dem Jahr 1963. Bardot gleich taten es andere Stars der „Nouvelle Vague“-Bewegung wie Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo („Außer Atem“), aber auch amerikanische Schauspieler wie James Dean, Marilyn Monroe und Audrey Hepburn kleideten sich im Stoff gewordenen Savoir-vivre.

Wer ihnen nacheifern will, sich diesen Sommer aber keine Marinière zugelegt hat, kann das jetzt noch nachholen. Denn die Ringelshirts eignen sich in der Ausführung aus dicker Baumwolle perfekt für die Übergangszeit zum Herbst. Der Klassiker lässt sich zu Jeans, dunkler Stoffhose und Chino kombinieren; tragen kann man ihn weit geschnitten oder eng anliegend, im Sommer auch bauchfrei. Die Marinière in ihrer Urform, mit dem breitgeschnittenen, ovalen U-Boot-Kragen, gibt es von den Traditionshäusern Saint James, Orcival und Armor Lux, je nach Modell für rund 50 bis etwas mehr als 100 Euro.
Und wer noch ein paar Urlaubstage übrig hat, sollte nicht im Internet bestellen, sondern selbst in die Bretagne fahren. Nachdem der Strom der französischen Ferientouristen versiegt ist, gibt es wohl kaum etwas Gemütlicheres, als den Spätsommer an der bretonischen Atlantikküste ausklingen zu lassen.