

Kommunalwahlen sind keine kleine Bundestagswahl. Auf die in Nordrhein-Westfalen aber schaut auch die Bundespolitik, handelt es sich doch um das bevölkerungsreichste Bundesland der Republik. Von einem wichtigen Stimmungstest ist die Rede.
Dessen Ergebnis lässt den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) „nicht ruhig schlafen“. Der Grünen-Bundesvorsitzende Felix Banaszak, ein Duisburger, spricht von einem „Ausdruck einer doch recht fundamentalen Verschiebung der politischen Lage“. Und die SPD-Bundesvorsitzende Bärbel Bas, eine Duisburgerin, erkennt zwar kein „Desaster“, wohl aber einen „Abwärtstrend“ für ihre Partei.
Die Wahlen vom Sonntag zeigen einmal mehr, wie stark sich die AfD mittlerweile auch im Westen Deutschlands etabliert. Sie eilt nun auch in den Kommunen von Erfolg zu Erfolg. In drei Ruhrgebietsstädten – Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen – schaffen es die Oberbürgermeister-Kandidaten der AfD sogar in die Stichwahlen.
CDU, SPD und Grüne mögen sich damit trösten, dass sie landesweit etwas stärker abschneiden als noch im Februar in Nordrhein-Westfalen bei der Bundestagswahl. Und auch damit, dass die AfD etwas schwächer dasteht als im Februar. Aber im Vergleich zu den Kommunalwahlen von 2020 (dem Pandemie-Jahr) steht für die AfD ein sattes Plus von 9,4 Punkten.
Münster wirkt noch wie das gallische Dorf
Um den AfD-Erfolg zu verstehen, lohnt nicht nur ein Blick in „den tiefen Westen“, ins Ruhrgebiet, sondern auch einer in den Nordwesten des Bundeslandes: ins Münsterland. Der katholisch geprägten Region sagt man nämlich seit Jahren eine AfD-Immunität nach.
Vor allem die Stadt Münster selbst steht sinnbildlich dafür. Ganz gleich ob Kommunal-, Landtags-, Europa- oder Bundestagswahl: Immer blieb die AfD hier unter fünf Prozent. Bei der Bundestagswahl in diesem Jahr aber konnte die Partei diese Schwelle erstmals überschreiten und holte 6,9 Prozent.
Und nun? 4,5 Prozent – das landesweit schlechteste Ergebnis aller Landkreise und kreisfreien Städte. Damit wirkt Münster auf der politischen Landkarte wieder wie das gallische Dorf bei Asterix und Obelix, aber nur auf den ersten Blick. Der Wert ist niedriger als jener im Februar, aber höher als vor fünf Jahren. Da es in den Kommunen keine Fünfprozenthürde gibt, ist selbst dieses unscheinbar schwache Ergebnis für die AfD ein Erfolg: Sie kann in der westfälischen Stadt nun erstmals eine Fraktion im Rat stellen.
Dabei ist Münster aufgrund seiner Bevölkerungsstruktur (viele Studenten, viele Beamte, gut situiertes Bürgertum) nicht einmal das beste Beispiel für die bislang vermutete AfD-Immunität. Noch augenfälliger waren nämlich bisher die Ergebnisse im Kreis Coesfeld, im westlichen Münsterland. Dort hatte die AfD vor fünf Jahren nur 0,6 Prozent erhalten. Damit schnitt die AfD in Coesfeld mehr als achtmal schlechter ab als landesweit. Und dieses Mal? 9,1 Prozent. Das ist nur noch gut 1,6 Mal schlechter als das landesweite Ergebnis. Die AfD-Immunität im Münsterland ist also Geschichte.
Hilden wählt typisch
Stimmenanteile¹ bei den Wahlen seit 2020, in Prozent
Zweifel an der AfD-Immunität in dieser Region hat der Soziologe Ansgar Hudde schon etwas länger. Hudde hat gerade das Buch „Wo wir wie wählen“ veröffentlicht, in dem er unterschiedliche regionale Wahlmuster herausgearbeitet hat. Hudde hat auch herausgearbeitet, in welchen Gegenden typisch gewählt wird. Und so verweist er auf die mittelgroße Stadt Hilden, die fast im Zentrum des Dreiecks Düsseldorf, Wuppertal, Leverkusen liegt. In etwa so wie die Stadt mit ihren 58.000 Einwohnern wählt auch ganz Deutschland – und auch ganz NRW. So war das örtliche Ergebnis bei den vergangenen Wahlen zuletzt immer ganz nah dran am landes- beziehungsweise bundesweiten Ergebnis (siehe Grafik). Auch jetzt wieder deckt sich beispielsweise das AfD-Ergebnis mit 14,2 Prozent fast mit dem landesweiten Ergebnis, das bei 14,5 Prozent liegt.
Einen interessanten Gegensatz im Wahlverhalten sieht der Soziologe Hudde seit Jahren in zwei Kölner Stadtteilen: Chorweiler und Sülz.
„Chorweiler ist eine klassische Großwohnsiedlung. Es gibt einen hohen Anteil an Menschen, die Sozialleistungen beziehen. Hier ballen sich die gesellschaftlichen Schwierigkeiten. Es ist auch ein stark migrantisch geprägter Stadtteil“, sagt Hudde.
Die AfD ist nun überall angekommen
Überdurchschnittlich stark sind in Chorweiler die politischen Ränder. Die AfD kommt hier bei der Kommunalwahl auf 27,4 Prozent, die Linke auf 13,8 Prozent. Die Wahlbeteiligung von 24,45 Prozent ist in Chorweiler extrem niedrig und in den Augen Huddes ein „Ausdruck von Desinteresse“. Hudde sagt: „Die AfD ernährt sich aus rechten Einstellungen genauso wie aus Frust und Unzufriedenheit. In Sülz ist mir keine größere Erstaufnahmeeinrichtung bekannt. Die landen dann in Chorweiler, wo die Mieten niedrig und die sozialen Herausforderungen groß sind.“
Ganz anders sehen die Zahlen in Köln-Sülz aus. Hier sind traditionell die Grünen stark. Auch dieses Mal, wie auch die Wahlbeteiligung von 71,71 Prozent. „Der Stadtteil ist sehr von der akademischen Mittelschicht geprägt“, sagt Hudde. „Als prototypische Bewohner kann man sich ein Lehrerehepaar vorstellen, vielleicht ist das erste Kind schon da, wenn nicht, kommt es bald. In Sülz leben wenige Menschen, die Sozialleistungen beziehen, wenige Menschen mit Migrationshintergrund. Es ist kein Partyviertel, aber schon belebt.“
Selbst in Hochburgen der Grünen wie in Münster oder Köln-Sülz aber legt die AfD zu. Die Partei ist nun in der Fläche und auch auf der untersten politischen Ebene angekommen.
