
Saisonprognose
Die Bayern haben Baustellen im Kader – da sind sich alle einig. Aber der haushohe Favorit auf die Meisterschaft sind sie auch.
Wenn am Freitag (22.08., Bayern gegen Leipzig ab 20.30 Uhr hier live im Radiostream) die Fußball-Bundesliga in die neue Saison startet, fällt die Suche nach dem großen Konkurrenten für den Titelverteidiger schwer, weil die typischen Kandidaten Federn lassen mussten, sich im Umbruch befinden, oder personell (vermeintlich) auf der Stelle treten. Echte Meisterschaftsambitionen äußert außer den Münchnern selbst kein einziger Klub bisher öffentlich.
Bayer Leverkusen – Entkernte Mannschaft, viele Fragezeichen
Es liegt nahe, die Vorjahrestabelle zu Rate zu ziehen, wenn man die Titelfavoriten für die kommende Bundesligasaison benennen will. Auch gängige KI-Programme nutzen diese zugegebenermaßen wenig fantasievolle Herangehensweise. Und dass das nicht nur wenig fantasievoll, sondern auch rein inhaltlich problematisch ist, zeigt die Tatsache, dass der Tabellenzweite Bayer Leverkusen wohl in 2025/26 eher nicht der große Bayern-Herausforderer sein wird.
Schon in der vergangenen Spielzeit lagen die Leverkusener am Ende 13 Punkte hinter den Bayern. Und das war bevor die Werkself ihre Topspieler Florian Wirtz, ihren Flügel-Flitzer Jeremie Frimpong, ihren Abwehrchef Jonathan Tah, ihren Kapitän Granit Xhaka, ihren langjährigen Stammtorwart Lukas Hradecky und ihren Trainer und Meistermacher Xabi Alonso verloren hatte. Und auch wenn die Leverkusener mit Erik ten Hag einen Trainer verpflichtet haben, der mehrfach niederländischer Meister wurde und Manchester United bei aller Kritik an seiner Amtszeit dort die letzten beiden Titel beschert hat, und Bayer auf dem Transfermarkt über 100 Millionen Euro ausgegeben hat, muss man festhalten: Diese Mannschaft wurde entkernt, gerupft, auf den Kopf gestellt.
Bei einem guten Saisonverlauf ist für Bayer mit den jungen Neuzugängen Jarell Quansah, Malik Tillman, Ibrahim Maza, Ernest Poku oder Christian Kofane, von denen keiner älter als 23 Jahre ist, durchaus auch ein Champions-League-Platz möglich. Es gibt auch ein nicht völlig verrücktes Szenario, in dem die talentierte Mannschaft sich in zwei Jahren soweit entwickelt, dass sie die Münchener wieder ernsthaft herausfordern kann.
Fazit: Die 13-Punkte-Lücke zu den Bayern ist trotzdem angesichts des enormen Aderlasses tendenziell eher angewachsen. Die Saisonvorbereitung lief bei Bayer holprig und im Pokal brauchte es gegen einen Regionalligisten zwei Platzverweise für den Gegner, bevor die Leverkusener wirklich dominant wurden. Das internationale Geschäft ist möglich, für mehr braucht es mehr gestandene Topspieler im Kader.
Borussia Dortmund – Konstanz mit Kovac, aber kaum Verstärkungen
Von einem großen Aderlass kann bei Borussia Dortmund keine Rede sein. Im Gegenteil, der BVB hat die Leistungsträger des Kaders, mit dem Niko Kovac in der vergangenen Rückrunde die letzten acht Spiele ungeschlagen blieb und bei der Klub-WM nur denkbar unglücklich an Real Madrid scheiterte, alle beisammen gehalten. Der Abgang von Jamie Gittens, der dazu auch noch über 50 Mio Euro einbrachte, tut zumindest jetzt gerade noch nicht so richtig weh, unter Kovac spielte der junge Engländer auf dem Flügel keine wirkliche Rolle mehr.
Die bisher ausgeliehenen Daniel Svensson, auf den Kovac große Stücke hält, und Außenverteidiger Yan Couto, der seine Rolle noch nicht so richtig gefunden hat, wurden im Sommer fest verpflichtet. Dazu kommt der junge Jobe Bellingham, der im zentralen Mittelfeld schon mit 19 eine tragende Rolle spielen soll und viel Physis ins Dortmunder Spiel bringen wird. Etwas, das Kovac definitiv mag.
Doch darüber hinaus herrscht auf der Zugangsseite gähnende Leere. Zwar holten die Dortmunder unter Kovac nach der desolaten Hinserie unter Nuri Sahin noch sensationell den vierten Platz, doch zu dem Schluss, dass dieser Kader nur punktuell Verstärkungen braucht, um im Titelrennen den Bayern gefährlich zu werden, wird man am Borsigplatz wohl kaum gekommen sein. Zumindest ist das aus BVB-Sicht zu hoffen: Nico Schlotterbeck und Niklas Süle fallen im Abwehrzentrum zunächst aus, Emre Can ist ebenfalls angeschlagen, dazu fehlt es in der Offensive noch an Tiefe und Dribbling-Qualität auf nahezu allen Positionen.
Fazit: Dortmund dürfte nicht nochmal in ein so tiefes Loch fallen wie unter Sahin, dafür wirkt die Mannschaft unter Kovac zu stabil, dafür ist auch der Trainer selbst einfach zu klar in seiner Spielidee und Kommunikation, doch für einen großen Wurf in Richtung Tabellenspitze müsste (schnell) noch einiges im Kader passieren, wenn auch nur hauchzarte Ambitionen vorhanden sind, die Bayern zu gefährden.
Eintracht Frankfurt – starke Entwicklung, aber große Fußstapfen im Sturm
So gut wie in der vergangenen Saison schnitt Eintracht Frankfurt in der Bundesliga zuletzt 1993 ab. Platz drei war ein voller Erfolg für die Elf von Dino Toppmöller. Und das gelang, obwohl im Winter Omar Marmoush nach Manchester wechselte. In diesem Sommer verließ nun auch dessen kongenialer Sturmpartner Hugo Ekitike die Eintracht in Richtung Premier League und spielt jetzt für den FC Liverpool. Ansonsten konnten die Frankfurter ihr Aufgebot aber weitstgehend zusammenhalten, Neuzugang Ritsu Doan vom SC Freiburg deutete im Pokal schon an, dass er der hessischen Offensive durchaus ein belebendes Element bieten kann.
Das könnte aber auch dringend notwendig werden, denn in vorderster Front ist die Qualität, die man in Marmoush und Ekitike verloren hat, natürlich für einen Klub wie Frankfurt kaum zu ersetzen, obwohl man für die beiden zusammen 170 Millionen Euro kassierte. Jonathan Burkardt ist da ein Anfang, der Nationalspieler kam aus Mainz und dürfte ganz vorn erstmal gesetzt sein. Der im Winter verpflichtete Elye Wahi muss nun die in ihn in seiner Laufbahn schon mehrfach gesetzten Hoffnungen nun aber endlich bestätigen, zumal Burkardt in den letzten drei Saisons auch immer wieder länger verletzt ausfiel. Ansonsten könnte die Besetzung im Sturmzentrum mit einer Dreifachbelastung in dieser Saison zum Problem werden.
Fazit: Die Eintracht ist ganz klar wieder ein Kandidat für die Champions League, aber für den immer noch ziemlich jungen Kader, scheint ein echter Angriff auf die Münchener angesichts des Verlusts der beiden Topstürmer kaum realistisch.
VfB Stuttgart – die unbeugsamen Schwaben als „Dark Horse“?
Der VfB Stuttgart war zwar in der Vorsaison „nur“ Neunter, doch als Pokalsieger, als knallharter Verhandlungspartner im Poker um Nick Woltemade und als durchaus anspruchsvoller, wenn auch unterlegener, Kontrahent im gerade gespielten Supercup-Finale, haben die Schwaben schon gezeigt, dass sie sich gegenüber dem FC Bayern nicht klein machen wollen.
Der Abgang von Enzo Millot ist schmerzhaft, aber Stand jetzt ist der Offensivmann der einzige Stammspieler, den Sebastian Hoeneß ersetzen muss. Die Offensive verfügt aber dennoch weiterhin über viel Variabilität mit Deniz Undav und Woltemade hat Hoeneß zwei Spieler im Kader, die beide im Sturm, aber auch diverse Positionen dahinter besetzen können. Die Mannschaft ist zudem extrem eingespielt. Nur Frank Schmidt ist in der Bundesliga schon länger im Amt als Hoeneß (2 Jahre und 4 Monate). Trotzdem hat der junge Kader, in dem kein einziger Feldspieler älter als 29 ist, durchaus noch Entwicklungspotenzial.
Fazit: Schon 2023/24 schafften die Stuttgarter es, als Vizemeister vor den Münchnern zu landen. Wenn Woltemade das Wechseltheater abschütteln und an seine Form des bisherigen Jahres anknüpfen kann, sind die Schwaben ein Kandidat für die Rolle des Bayern-Jäger Nummer eins. Ob das am Ende allerdings eine wirkliche Gefährdung der Münchner im Titelrennen bedeuten würde, steht auf einem anderen Blatt.
RB Leipzig – viel teures Talent, aber noch ein weiter Weg für Werner und Co.
Nach der schlechtesten Saison der Bundesligageschichte hat RB Leipzig seinen Kader umgekrempelt. Ole Werner ist der neue Trainer und gleich sechs Spieler wurden für jeweils zweistellige Millionenbeträge zum Brauseklub geholt. Keiner von ihnen ist älter als 23. Das ist insofern spannend, als dass Werner in Bremen nicht unbedingt dafür bekannt war, jungen Spielern früh eine Chance zu geben. Im Pokal durfte von diesen sechs Spielern tatsächlich auch nur Flügelflitzer Yan Diomande von Beginn an ran und überzeugte trotz seiner erst 18 Jahre direkt. Ohne internationale Belastung gilt das volle Augenmerk der Liga und dem DFB-Pokal – das kann definitiv auch ein Vorteil werden.
Fazit: Der Abgang von Benjamin Sesko tut weh, doch wenn RB es schafft, es dabei zu belassen und Xavi Simons trotz aller Wechselgerüchte zu halten, hat man so viel Talent in den Kader geholt, dass eine deutlich bessere Platzierung als Rang 7 absolut möglich ist. Ein wirklicher Meisterschaftskandidat ist die junge RB-Mannschaft aber dennoch wohl (noch) nicht.
Bayern München – besser als letztes Jahr
Auch wenn Jamal Musiala noch lange fehlt, auch wenn es in der Offensive auf dem Flügel vielleicht ein bisschen an namhaften Alternativen mangelt: Luis Diaz hat bei aller berechtigten Diskussion um die hohe Ablösesumme von etwa 70 Mio Euro schon gezeigt, dass er die Bayern sofort besser machen kann. Jonathan Tah bringt viel Erfahrung mit in die Defensive und Tom Bischof kann im zentralen Mittelfeld nahezu jede Position auf hohem Bundesliganiveau spielen. Dazu zeigten sich die blutjungen Lennart Karl und Jonah Kusi-Asare in der Saisonvorbereitung durchaus spielfreudig, sodass auch der diesbezüglich bisher wenig risikofreudige Vincent Kompany beiden womöglich einige Joker-Einsätze ermöglichen wird.
Fazit: Der Bayern-Kader hat Lücken, die es ihm in der Königsklasse womöglich sehr schwer machen werden, aber er ist nicht schlechter als im Vorjahr, in dem die Münchner mit 13 Punkten Abstand Meister wurden. Die Bayern werden auch in diesem Jahr wieder unangefochten den Titel holen, wenn keine gigantische Verletzungsmisere dazwischen kommt.