Hockey-Auswahl im Finale: Ein Team von Steuermännern – Sport

Beim Trainerkongress des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer kürzlich in Leipzig zeigten sich als Zuhörer nicht nur der frühere Freiburger Trainer Christian Streich und der vormalige Leverkusener Coach Roger Schmidt von einem der Referenten besonders angetan. Der Hockey-Bundestrainer, André Henning, hatte eloquent und leidenschaftlich über die Einbeziehung seiner Nationalspieler in Spieltaktiken und mannschaftliche Prozesse referiert. „Wie Beteiligung ein Team formt“, lautete das Vortragsthema des 41-Jährigen. Bei Magenta-TV sagte Streich hinterher über den Kongress: „Der Hockey-Nationaltrainer war mein Highlight, weil er sehr schlau berichtet hat, wie er in Sachen Selbstverantwortung mit den Spielern arbeitet.“ Schmidt sagte: „Der Ansatz von André Henning, die Mannschaft in Entscheidungsfindungen stark mit einzubeziehen, hörte sich spannend an.“

Die erfolgreiche Umsetzung seiner Theorien beweist Henning als Bundestrainer der Hockeymänner seit knapp vier Jahren. Binnen zweieinhalb Jahren wird diese Nationalmannschaft nun alle drei großen Finals gespielt haben: WM 2023, Olympia 2024, EM 2025. Das WM-Endspiel im Januar 2023 in Indien in Bhubaneswar gewann das Team im Penalty-Shootout gegen Belgien, das Olympia-Finale im August 2024 in Paris verlor es im Penalty-Shootout gegen die Niederlande. Und an diesem Samstagabend (18 Uhr, Magentasport.de) tritt es bei der Europameisterschaft in Mönchengladbach im Finale gegen die Niederlande somit auch zu einer Revanche an.

„Cross-Coaching“ ist ein Lieblingswort von Henning. „Es wird ganz viel untereinander gecoacht“, erklärt er dieses Vorgehen. Jeder ist mit in der Verantwortung, alle profitieren von allen. Bis zur ersten ihrer drei aktuellen Finalteilnahmen Anfang 2023 hatten deutsche Hockeymänner zuvor zehn Jahre lang keinen Titel mehr gewonnen. „Das war eine Zeit, in der wir ein bisschen gelitten haben“, rekapituliert Henning, „dabei war das gar kein Hockey-Problem, kein sportliches Problem, sondern die Aufgabe war: Wie werden wir unter Druck besonders gut?“

Henning ist ebenso begeistert wie überzeugt davon, was man in den vergangenen vier Jahren im Kollektiv entwickelt habe: „Wir geben viel Verantwortung ab, die Spieler steuern Prozesse auf und neben dem Platz entscheidend mit.“ Bereits in der Vorbereitung moderiere er Dinge zwar an, „aber die Jungs besprechen das dann untereinander. Ich steuere nur an, was in deren Köpfen ist und hole das heraus.“

„Ein Chef kann gar nicht alles machen und allein entscheiden“, sagt Henning

Derart viel Mitbestimmung einer Mannschaft verursachte beim Trainerkongress im Leipzig ein gewisses Aufsehen. Denn in diesem Ausmaß ist das Vorgehen im Fußball noch nicht verbreitet. „Ich bin mit Kollegen vom Fußball schon lange in Kontakt, und viele machen das mittlerweile genauso“, sagt Henning: „Auch im Fußball geht in dieser Hinsicht gerade ein Kulturwandel vonstatten.“ Er selbst habe früher mitunter zu viel Verantwortung auf sich genommen, ehe er sich bewusst gemacht habe, was auch vielen anderen Menschen in ihren Jobs ersichtlich sei: „Ein Chef kann gar nicht alles machen und allein entscheiden, man muss auch mal seine Leute machen lassen.“

Und so lässt Henning dann auch mal seine Leute machen. Und die machen das bei der Heim-EM bislang ziemlich gut. 3:2 gegen Frankreich, 1:1 gegen England sowie 10:0 gegen Polen in der Gruppenphase und nun das 4:1 gegen jene Spanier, gegen die das deutsche Nationalteam zuvor dreieinhalb Jahre kein Pflichtspiel mehr gewonnen hatte.

„Ich bin extrem begeistert“, sagte Henning nach dem Sieg und freute sich auch darüber, dass seine Auswahl mit diesem Finaleinzug die Qualifikation für die WM 2026 in Belgien und den Niederlanden gelöst hat. Hennings Vertrag beim Deutschen Hockey-Bund läuft noch bis 2028. Einen Wechsel zum Fußball, wie ihn der frühere Hockey-Bundestrainer Bernhard Peters 2006 vollzogen hat, beabsichtigt Henning momentan offenbar nicht. „Ich bin absolut happy mit meiner Aufgabe“, sagt er.

Das Olympiafinale ist den Deutschen noch gut in Erinnerung

In Mönchengladbach wird, 30 Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt, derweil die Geschichte des ewigen Duells zwischen Schwarz-Rot-Gold und Oranje weitergeschrieben. Als „Once-in-a-Lifetime-Spiel“ gegen den Erzrivalen vor 9500 Zuschauern im ausverkauften Hockeypark deklariert Henning das EM-Finale. „Wir müssen in diesem Stadion die Hölle entfachen“, fordert er und meint damit natürlich de hel – die Hölle für jene Niederländer, die die Deutschen im Olympiafinale vor einem Jahr in Paris schlimm geärgert hatten. Nach einer deprimierenden deutschen Niederlage im dramatischen Penalty-Shootout hatte damals der niederländische Feldspieler Duco Telgenkamp den deutschen Torwart Jean Danneberg mit Gesten provoziert, weil Danneberg vor dem Finale behauptet hatte, die Niederländer hätten Angst vor Deutschland.

Nicht nur haben Danneberg und Telgenkamp diesen Disput aber anschließend in Amsterdam bei einem Kaffee ausgeräumt – nun gehört Telgenkamp bei dieser EM auch gar nicht zum Oranje-Kader.

Nach dem Halbfinalsieg gegen Spanien und vor dem Finale gegen die Niederlande wurde Henning von einem niederländischen Journalisten gefragt: „Wie groß ist die deutsche Narbe aus dem Olympiafinale letztes Jahr?“ Henning antwortete aufrichtig: „Dieses Spiel beschäftigt meine Jungs schon noch, das war in einem sehr wichtigen Spiel ein superknappes Ergebnis, wir haben das nicht vergessen, und es gibt uns extra Motivation.“ Zu den deutschen Journalisten sagte Henning versöhnlicher und durchaus schwärmerisch: „Das ist ein absolutes Traumfinale.“