
Ich fürchte mich vor Langeweile. Nach dem Aufstehen läuft direkt ein Podcast, abends telefoniere ich mit Freund:innen und zwischendurch schaue ich Tiktok. Typisch GenZ. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine Stunde lang nichts gemacht habe. Also gar nichts, einfach nur dasitzen. Heute will ich genau das probieren: eine Stunde Langeweile. Eine Art selbstverschriebene Konfrontationstherapie.
Die Ausstellung „The Quiet Space“ im Kraftwerk Berlin bietet die Gelegenheit. Auf dem Schild am Eingang steht „SHHHH“, ein Flyer verspricht mir einen Rückzugsort, eine Pause von der Stadt. „Während Berlin sich beschleunigt, werden Räume der stillen Kontemplation immer wichtiger“, steht dort. Die Idee ist simpel. Eigentlich ist es einfach ein leerstehendes Gebäude. Aber eigentlich ist es auch viel mehr als das, denn jemand hat den Raum mit einer Idee gefüllt. Die Menschen kommen her, um still zu sein. Sie sitzen, hören zu, atmen und beobachten.
Die Kulisse erinnert an einen dystopischen Film, es sieht aus wie „Divergent“ oder die „Tribute von Panem“ – aber die wurden dort schließlich auch teilweise gedreht. Das 1997 stillgelegte Kraftwerk hat mehrere Ebenen, von unten kann ich bis hoch zum Dach sehen. Die Luft ist kühl, es riecht nach Putz, der Hall klingt nach Kirche. Nur sind die Fenster hier einfarbig, und so richtig mausestill ist es gar nicht. Auf der Stahltreppe, die nach oben führt, hallen ständig Schritte, ein Baby ruft „dada“, in der Ferne schnäuzt jemand die Nase.
Minuten zählen
Noch 45 Minuten. Ich setze mich auf einen Stuhl, den Raum im Blick. Während ich die Menschen beobachte, fällt mir ein, dass ich das früher gern gemacht habe. Anderen zuschauen und überlegen, was sie beschäftigt, welchen Job sie haben. Ein Typ in meinem Alter hat AirPods drin, er ist anscheinend nicht für die Stille hier – oder sind sie auf Noise Canceling gestellt? Ich fühle mich ein bisschen überlegen, bin stolz auf mich, dass ich es ohne Berieselung schaffe.
Noch 35 Minuten. Ich drücke meinen Rücken gerade, denke an eine Mail, die ich später noch verschicken muss. Genau genommen mache ich nicht nichts, immerhin liegt ein Block auf meinem Schoß. Aber genau genommen macht niemand hier wirklich nichts: Viele machen Fotos, manche flüstern, zwei Männer spielen Schach. Die meisten sind nicht allein gekommen.
Ein Pärchen flirtet in Pantomime, ein Mann tanzt Qigong. Noch in Mann mit AirPods. Er macht ein Foto, vielleicht stellt er es später auf Social Media. Es ist ein Ort, an dem Menschen ihre Hände hinter dem Rücken verschränken. Ein universelles Zeichen für: „Ich habe Zeit“. Ein bisschen wie im Wartezimmer.
Gleich vorbei
Noch 15 Minuten. Ich wechsle den Ort, lege mich zu den Menschen auf den Podesten im oberen Geschoss. Irgendwas scheint es ihnen zu geben, mir aber gibt diese Position nur Kopfweh und Rückenschmerzen. Platzwechsel. In den letzten vier Minuten kommt die Langeweile. Als sie rum sind, bleibe ich trotzdem noch eine Weile sitzen. Ich wünschte, meine Mutter würde mir mal wieder das Handy abnehmen. Vielleicht frage ich sie mal. Verpasst habe ich in dieser Stunde sicher nichts.
Als ich aus der Tür trete, sticht mir die Sonne in die Augen, eine Bohrmaschine durchschneidet mein Trommelfell. Reflexartig hole ich mein Handy aus der Hosentasche und stöpsle mir einen Podcast ins Ohr.
The Quiet Space: Kraftwerk Berlin, bis 17. August