
interview
Für Alex Feuerherdt, Sprecher der DFB-Schiedsrichter, waren die sexistischen Gesänge gegen Fabienne Michel ein „Tiefpunkt“. Wie lässt sich das in Zukunft verhindern?
Sportschau: Herr Feuerherdt, am 28. März wurde Fabienne Michel von Fans von RW Essen sexistisch beleidigt. Wie ordnen Sie den Fall ein?
Alex Feuerherdt: Dass besonders der Männerfußball immer schon ein Problem mit Sexismus hatte, ist keine neue Erkenntnis. In dem Fall hat es sich auch noch gegen die Schiedsrichterin gerichtet, gegen eine Beteiligte am Spiel. Das war ein Tiefpunkt der Saison und ein schrecklicher Vorfall.
Sportschau: Sie machen den Eindruck, dass diese Vorfälle Sie auch persönlich mitgenommen haben.
Alex Feuerherdt: Der DFB vertritt klare Werte, dass Diskriminierung, Antisemitismus, Rassismus oder Sexismus bekämpft werden. Das empfinde ich als Verpflichtung, nicht nur, weil ich dem Verband angehöre, sondern auch als Mensch. Mir ist es schon immer wichtig gewesen, dort, wo diskriminiert wird, klare Kante zu zeigen: Sowas darf im Fußball keinen Platz haben. Sowas darf in der Gesellschaft keinen Platz haben.
Sportschau: Hätten Sie schneller handeln müssen?
Alex Feuerherdt: Es ist nicht ideal gelaufen, was die Aufarbeitung betrifft. Da nehme ich mich ausdrücklich selbst ins Boot, denn es hat fast drei Tage gedauert, bis wir erfahren haben: Da gibt es Aufnahmen einer Zusatzkamera der ARD, die ganz klar zeigen, was da gerufen und gesungen worden ist. Das war in der Liveübertragung eines anderen Senders nicht zu hören, und das Schiri-Team hatte es nicht wahrgenommen. Jeder Tag hätte uns früher in die Lage versetzt, der Sache nachzugehen.
Sportschau: Was haben Sie getan, als Sie davon erfuhren?
Alex Feuerherdt: Ich habe mit der Journalistin der Sportschau mehrfach gesprochen und getextet. Was ist da vorgefallen? Können wir das Material offiziell bekommen und auswerten? So konnten wir es schließlich dem DFB-Kontrollausschuss übergeben, damit dieser ermitteln kann. Es hat dann ein sportgerichtliches Urteil gegeben, das klar festgehalten hat: Es war diskriminierendes, menschenverachtendes Verhalten eines Teils der Essener Zuschauer gegenüber der Schiedsrichterin aufgrund ihres Geschlechts.
Sportschau: Es könnte ja Kommentare geben, die sagen: Sie ist die einzige Frau in den ersten drei Ligen, da muss sie auch etwas aushalten können.
Alex Feuerherdt: Niemand muss Sexismus, Rassismus, Antisemitismus aushalten. Nicht in der Gesellschaft und nicht im Fußball. Das waren auch keine subtilen Rufe; nichts, wo man irgendwas interpretieren müsste. Das war offener, ungeschminkter, vulgärer Sexismus, mit dem Fabienne da konfrontiert worden ist. Das ist auch nicht irgendeine Form der Folklore, nicht irgendetwas, das im Fußball dazugehört.
Sportschau: Wie kann man die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter besser schützen?
Alex Feuerherdt: Wir haben den Dreistufenplan bei diskriminierenden Vorfällen. Wenn ein Fall von Diskriminierung auftritt, kann der Schiedsrichter oder die Schiedsrichterin das Spiel unterbrechen und eine Stadiondurchsage veranlassen. Wenn sich das fortsetzt oder wiederholt, kann das Spiel ein weiteres Mal unterbrochen werden, dann können die Spieler vom Feld beordert werden. In letzter Konsequenz kann das Spiel abgebrochen werden. Aber was machen wir, wenn die Schiedsrichterin selbst das Opfer dieser Diskriminierung ist? Den Mechanismus, dass eine betroffene Schiedsrichterin oder ein Schiedsrichter sich selbst problemlos schützen kann, den gibt es so noch nicht.
Sportschau: Fabienne Michel hat die Rufe im Spiel auch gar nicht wahrgenommen.
Alex Feuerherdt: Sie war aufs Spiel konzentriert, genau wie ihre Assistenten. Da nimmt man längst nicht alles wahr, was von den Rängen gerufen wird. Wenn sie es wahrgenommen hätte, stellt sich die Frage: Was hätte sie tun sollen? Es ist nicht so einfach, den Dreistufenplan zu aktivieren, wenn man selbst das Opfer von Diskriminierung ist. Außerdem waren ja auch noch andere im Stadion: Was ist mit dem gastgebenden Verein? Was ist mit dem Verein, zu dem diese Fans gehören? Der müsste aktiv werden, wenn er das mitbekommt. Man müsste das thematisieren, deutlich machen: Das gehört nirgendwohin in die Gesellschaft, das gehört auch nicht in den Fußball.
Sportschau: In der 2. Staffel „UNPARTEIISCH – Deutschlands Elite-Schiedsrichter“ ist es das erste Mal, dass Fabienne Michel öffentlich über die Vorfälle spricht. Was haben Sie ihr geraten, als die Recherche Sie erreichte?
Alex Feuerherdt: Zunächst habe ich mit ihr gesprochen: Ist es dir ein Bedürfnis, öffentlich darüber zu sprechen? Was wünschst du dir? In diesem Fall ist sie die Betroffene, das Opfer von sexistischer Diskriminierung – und damit nicht diejenige, die gefordert wäre zu reden. Gerade dann nicht, wenn sie es ohnehin nicht wahrgenommen hat. In erster Linie sind wir im Verband gefordert, Stellung zu beziehen und alles zu tun, was in unserer Macht steht. Die Schiedsrichterin zu schützen, sie aus der Schusslinie zu nehmen, das ist unsere Aufgabe als DFB.
Sportschau: Wie kam es bei Ihnen an, dass einige Journalisten und Zuschauer sagten: ‘Fabienne Michel stand bei der Torerzielung der Essener im Weg, deshalb wurde sie beleidigt’?
Alex Feuerherdt: Bei einer Diskriminierung ist nie das Opfer schuld. Das hat mich richtig aufgeregt. Wenn jemand sagt: ‘Wenn es den Anlass nicht gegeben hätte, hätte es die Beleidigungen nicht gegeben’, möchte ich die Gegenfrage stellen: ‘Sind Sexisten nur dann Sexisten, wenn Frauen einen Fehler machen?’ ist das die Logik? Wenn ich es zuspitze: Ist das nicht genau die Logik, nach der man einer Frau vorwirft, einen zu kurzen Rock getragen zu haben und irgendwie selbst daran schuld zu sein, dass sie vergewaltigt worden ist? Sicher, das ist jetzt ins Extreme zugespitzt. Auf der anderen Seite gehörte zu diesen sexistischen Rufen eine klare Vergewaltigungsfantasie. In dem Fall zum Glück nur verbal geäußert, aber sie gehörte dazu. Womit will ich das rechtfertigen? Womit will ich einen ‚Kontext‘ herstellen?
Sportschau: Wie gehen Sie als DFB damit nun um? Wird Michel bewusst in ein hitziges Spiel geschickt, oder erstmal für Partien mit weniger Aufmerksamkeit angesetzt?
Alex Feuerherdt: Es gibt keine Pläne, dass Fabienne irgendwo nicht mehr pfeifen soll. Wenn Vereine fordern, dass ein bestimmter Schiedsrichter nicht mehr eingesetzt werden soll, kommen wir dem ja auch nicht nach. Wir sprechen mit ihr und fragen, wie sie es verarbeitet hat und wie wir damit in Zukunft umgehen wollen. Können wir Fabienne noch zu bestimmten Spielen schicken? Ich meine: natürlich, ja. Das bedingt aber, dass man alle Kräfte bündelt, alles investiert, um ein Klima herzustellen, in dem das selbstverständlich möglich ist.
Sportschau: Wie kann das gelingen?
Alex Feuerherdt: Alle in unserem Verband, in den Fanszenen, in den Vereinen sind aufgefordert, ein Klima zu schaffen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt und sich die Frage nicht stellt: Können wir eine Schiedsrichterin irgendwo hinschicken oder nicht? Ich will ein Beispiel nennen, um zu verdeutlichen, dass das geht: Wir hatten Anfang der 1990er Jahre in diversen Stadien Neonaziparolen, das haben wir heute zumindest im Profifußball so gut wie gar nicht mehr. Was hat dazu geführt? Zum einen ist es die aktive Fanszene gewesen, die sich dafür eingesetzt hat, solche Verhaltensweisen zu ächten und aus dem Stadion zu drängen. Da gibt es sehr vorbildliche Fanprojekte. Das andere ist der Verband, der sich geändert hat, ein anderes Bewusstsein hat. Die Kampagnen heißen heute nicht mehr verdruckst “Mein Freund ist Ausländer”, sondern unmissverständlich “Zeig Rassismus die Rote Karte”. Wenn ein Sportgerichtsurteil so deutlich ausfällt wie in Fabiennes Fall, dann ist das ein eminenter Fortschritt.
Das Interview führte Tom Ockers für die 2. Staffel der ARD Dokuserie „UNPARTEIISCH – Deutschlands Elite-Schiedsrichter“.