
In einem alabasterweißen Jumpsuit schreitet Jonas Löschau über den Domplatz. Die Silhouette ist fließend, an den Ärmeln funkelt eine Paillettenstickerei. Man könnte denken, er läuft über den roten Teppich in Cannes. Aber Löschau, 25 Jahre alt, Wuschelkopf und Tropfenohrringe, ist weit entfernt von der Côte d’Azur. Als er am Sonntag gegen elf Uhr durch die Fußgängerzone der oberlausitzischen Kreisstadt Bautzen geht, schlagen ihm Blicke der Verachtung entgegen.
Ein alter Mann, auf einem Rollator sitzend, schaut ihm verächtlich hinterher, zwei Frauen vor einem Supermarkt tuscheln, als er vorbeikommt. An Löschau perlt das ab, er habe sich als queerer Mensch in der sächsischen Provinz an solche Reaktionen gewöhnt. Außerdem sei er jetzt voll „im Fokus“. Sein Ziel: Der Startpunkt des dritten Christopher Street Day (CSD) in Bautzen, der in wenigen Stunden beginnt. Löschau ist der Sprecher des CSD in der Stadt.
„Bist du einmal so lieb“, sagt Löschau zu dem Fotografen, der den Reißverschluss an seinem Oberteil am Rücken hochziehen soll. Mit dem Outfit wolle er Geschlechterrollen brechen. „Irgendwie ein wenig Queer Icon, aber auch medientauglich – falls man vor die Kamera der ,Tagesschau‘ treten muss.“ Dass Jonas Löschau mit einem großen Medienaufgebot rechnet, kommt nicht von ungefähr.
Die Republik blickt angespannt in die Oberlausitz
Im vergangenen Jahr versuchten rund 700 Rechtsextreme, den CSD in Bautzen zu kapern. Mit menschenverachtenden Sprechchören marschierten sie nur wenige Meter hinter den queeren Demonstranten. Die martialischen Bilder gingen durch die Medien – Bautzen wurde zum Symbol einer neuen Welle rechtsextremer Queerfeindlichkeit. Ein Jahr später blickt die Republik deswegen angespannt in die Oberlausitz, und auch auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Die wirkten 2024 überrumpelt von dem starken Aufgebot der Rechtsextremen. Die CSD-Demo und die brüllenden Neonazis trennten damals an manchen Stellen nur wenige Meter und eine Hand voll Beamte.

Auch dieses Jahr werden die Rechtsextremen in Hör- und Sichtweite zum CSD hetzen und dem Regenbogenmarsch hinterherlaufen. Das ist ihr Versammlungsrecht, im Grundgesetz in Artikel acht verankert. „Wir akzeptieren das“, sagt Löschau. Aber es zeige womit queere Menschen im ländlichen Raum von Ostsachsen zu kämpfen hätten. Und dennoch ist er zuversichtlich, dass es dieses Jahr anders wird.
Dafür wollen auch die Behörden sorgen, die wenige Tage zuvor die Versammlungsfreiheit eingeschränkt haben. Marschieren im Gleichschritt ist verboten, genauso wie Trommeln und szenetypisches Auftreten in Bomberjacke und Springerstiefeln. Auf diese Mittel der Selbstinszenierung können die Rechtsextremen an diesem Tag also nicht zurückgreifen. Man könne natürlich fragen, ob die Stadt so einfach nur verhindern wolle, dass sich die Bilder von 2024 wiederholten? Die Entscheidung als solche findet CSD-Sprecher Löschau aber positiv.

Ihm selbst ging es nach dem CSD 2024 „eigentlich ganz gut“. Bei einem Auswertungstreffen einige Zeit später, schilderten andere Teilnehmer ihre Erlebnisse. „Da habe ich dann erst richtig verstanden, was das mit den Menschen gemacht hat“, sagt Löschau. Eine seiner Mitstreiterinnen, die am Ende des Demozugs als Ordnerin arbeitete, haber mehrere Tage kaum schlafen können, so schlecht ging es ihr mit dem Erlebten.
„Ach, hier ist die Oberschwuchtel von Bautzen“
Beim CSD 2024 wurde in ganz Deutschland sichtbar, wie sehr Menschen bedroht sind, die sich für Demokratie und die Rechte von Minderheiten in Ostdeutschland einsetzen. Für diejenigen, die in Städten wie Bautzen, Görlitz und Hoyerswerda leben und sich für diese Werte stark machen, ist sie alltäglich. „Da ist dieses ständige Nachdenken darüber, ob man einfach so das Haus verlassen kann“, beschreibt es Löschau. Es gehe um Einschüchterung und den Kampf um den öffentlichen Raum.

Er selbst wurde einmal in einem Club erkannt. „Ach, hier ist die Oberschwuchtel von Bautzen“, habe man ihm zugerufen. Nur der Sicherheitsdienst habe verhindert, dass er verprügelt wurde. Jonas Löschau müsste sich das nicht antun. Er studiert Lehramt in Dresden, hatte schon in der sächsischen Landeshauptstadt gelebt. „Doch mir liegt etwas an Bautzen“, sagt Löschau. Deswegen sei er zurückgekommen. Als einziger Vertreter der Grünen sitzt er für seine Partei im Bautzener Stadtrat und organisiert mit einem Team von etwa 20 Personen den Christopher Street Day in Bautzen.
Was beim CSD 2024 passiert ist, war eine Zäsur. Queersein auf dem Land, gerade im Osten, war noch nie leicht. Aber Löschau erinnert sich an die Zeit, als er sich 2016 als bisexuell geoutet hatte. „Es gab mehr Akzeptanz,“, sagt er. Der Hauptfokus der „Nazis“ habe damals noch auf dem Thema Migration gelegen.
„Pufferzone“ zwischen dem CSD und den Rechtsextremen
Dass Rechtsextreme queere Menschen hassen, ist kein neues Phänomen. Doch seit 2010 hat sich die Zahl der Straftaten gegen „sexuelle Orientierung“ und „geschlechtsbezogene Diversität“ nahezu verzehnfacht. Wohl auch, weil sich junge Neonazis am Rande von Christopher Street Days aggressiv in Szene setzen können. Einen „besorgniserregenden Punktsieg“ nannte Dirk-Martin Christian, der Präsident des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutzes, den Auftritt der Rechtsextremen in Bautzen 2024.

Einen solchen „Punktesieg“ will am Sonntag Tag auch der Rechtsextreme Dan-Odin Wölfer einfahren. Wölfer ist einer der führenden Köpfe der Bautzener Neonazigruppe „Urbs Turrium“. Unter dem Motto „Mann und Frau. Das wahre Fundament des Lebens!“ versammelt er am Mittag des CSD-Tages rund 300 Gegendemonstranten, die Shirts tragen mit Sprüchen wie „Aus Anne wird Frank, das ist doch krank“.
Nur hundert Meter entfernt vom Versammlungsort des CSD, eingezäunt mit Absperrgittern, brüllen sie „Nazi-Kiez“ und „Es gibt kein Recht auf Homopropaganda“. Doch auch die in der Szene bekannten Rapper Proto und Kavalier können mit ihrem Auftritt unter den eingepferchten Rechtsextremen nicht für gute Laune sorgen. Sichtlich genervt versucht Wölfer mit einem Megaphon seine Kameraden aufzupeitschen, während Tausende CSD-Teilnehmer an ihnen vorbei Richtung Bautzener Kornmarkt ziehen.

„Die wirken ja fast ein wenig eingeschüchtert“, sagt Löschau. Er lächelt souverän, als er zu Wölfer und seiner Truppe hinüberschaut, eine Frau sagt zu ihm „Du siehst aus wie ein Engel“ und streicht ihm über die Schulter. Es sei ein anderes Gefühl als 2024 an den Rechtsextremen vorbeizulaufen, sagt Löschau. Dieses Jahr habe man viel mehr „Power“ und „Rückenwind“. Letzterer kommt auch von der Gruppe „Queer Pride“ aus Dresden, die sich am Sonntag zwischen dem CSD und der Neonazi-Demonstration von Wölfer positioniert hat. So befindet sich zwischen den Rechtsextremen und dem Regenbogenmarsch nicht nur der von der Polizei vorgegebene Sicherheitsabstand, sondern es stehen auch noch Hunderte Antifaschisten, die in ihrer Funktion als „Pufferzone“ auch gerne einmal eine Pause einlegen.
Ohne Hitlergruß endet der Tag in Bautzen dann doch nicht
Das führt dazu, dass Wölfer und sein Demozug in der prallen Augustsonne auf einer Seitenstraße ausharren müssen, während am Kornmarkt schon die zweite CSD-Kundgebung läuft. Nur kurz kommt Stimmung auf, als ein Anwohner eine Reichskriegsflagge aus dem Fenster hängt – während der politische Gegner ungestört mit rund 3000 Teilnehmern feiert. Die Veranstaltung eröffnet die Queerbeauftragte der Bundesregierung Sophie Koch (SPD) mit einer Rede, gefolgt von Bautzens Oberbürgermeister Karsten Vogt (CDU), der ostdeutschen Influencerin Luna Möbius und der früheren WDR-Journalistin Georgine Kellermann.

Dann tritt Kraftklub auf, und die Menge auf dem Kornmarkt singt, springt und tanzt zu den Hits der Chemnitzer Band, ehe der CSD weiter zu seinem Endpunkt zieht. Unter den Teilnehmern will nicht jeder mit den Medien sprechen. Manche befürchten an neurechte Streamer oder Influencer zu geraten, die sich als Journalisten ausgeben.
Luca, 22 Jahre alt, hat damit kein Problem. Er gehört der sorbischen Minderheit an und ist aus Cottbus angereist. Für ihn sind die Christopher Street Days in der Region wichtig, um sich als queere Person innerhalb einer ethnischen Minderheit sichtbar zu machen und auszutauschen. Auf seinem Schild hat er ein sorbisches Volkslied umgedichtet: „Zu Hause, zu Hause, schön ist es. Schöner ist es ohne Faschisten.“

Doch ganz ohne Hitlergruß endet der Tag in Bautzen dann doch nicht. In sieben Fällen ermittelt die Polizei wegen der Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen, darunter mindestens ein erhobener rechter Arm. „Bei der Abreise gab es mindestens einen Angriff auf eine Gruppe“, erzählt Löschau am Montag. Bei den Behörden wurden Fälle von Körperverletzung, versuchtem Raub, Diebstahl und Beleidigung gemeldet.
Trotzdem ist Löschau „total zufrieden“ – auch mit der „ordentlichen“ Arbeit der Polizei. Anders dürfte es bei den Rechtsextremen aussehen, denen ihr großer Auftritt in diesem Jahr verwehrt blieb.