Ex-Bundespräsident Christian Wulff kritisiert die Union


Wenn man kein öffentliches Amt mehr hat, kann man unbefangener sagen, was man denkt – und zuweilen macht das wohl auch mehr Spaß als vorher. So wirkte es zumindest beim ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der bei Sandra Maischberger einen gut gelaunten Auftritt hinlegte und seiner Partei etwas mehr Anstrengung in Sachen gesellschaftlicher Öffnung riet. Die Union habe ein Potential von 45 Prozent Wählern, wenn sie sich nur besser um Frauen, Einwanderer, Klimaschützer und junge Leute bemühen würde, glaubt Wulff.

Maischbergers Sendung drehte sich wie immer um mehrere Themen: Krach in der Koalition, Klimaschutzpolitik, AfD, was tun mit Russland und Donald Trump. Das meiste wurde nur angerissen, beim Klimaschutz und der Frage der Rolle von Technik und Wissenschaft entspann sich eine längere Zweier-Diskussion zwischen der Grünen-Vorsitzenden Franziska Brantner und Forschungsministerin Dorothee Bär. Als Kommentatoren waren ZDF-Journalist Theo Koll und Autorin Nena Brockhaus sowie der Aktivist Raúl Aguayo-Krauthausen eingeladen.

Desaster für die Koalition

Zum Auftakt erörterte die Runde, ob die gescheiterte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin ein Desaster für die Koalition und insbesondere für Unions-Fraktionschef Jens Spahn sei. Das Thema werde „hochgejazzt“, meinte Brockhaus. Und: „Wenn Abgeordnete sagen, sie sind nicht überzeugt, dann ist das Demokratie.“ Koll und Aguayo-Krauthausen widersprachen: Die Namen seien seit Wochen bekannt gewesen, es gebe ein eingespieltes Verfahren und Spahn habe seine Fraktion entweder nicht im Griff gehabt oder das Debakel mit herbeigeführt. Brockhaus nahm die Union nicht nur in Schutz. Sie meinte gar, die Kritik, die Brosius-Gersdorf an manchen Presseberichten über sich übte, „disqualifiziere“ sie als Verfassungsrichterin, weil die Medien doch nunmal kritisch berichteten.

Anschließend wollte Maischberger wissen, wie die Runde ein mögliches AfD-Verbot nach dem kürzlich erschienenen Verfassungsschutzbericht bewerte. Koll warnte davor, dass die rechtsradikale Partei einen Keil zwischen die demokratischen Parteien treiben wolle.

Koalieren mit der AfD?

Brockhaus dagegen plädierte dafür, mit der AfD zu „koalieren“, korrigierte sich aber dahingehend, dass sie eigentlich Verhandlungen meine, die man dann ja wieder abbrechen könne. Viele Wähler wünschten sich das so. Ein Verbotsverfahren werde die AfD nur stärken, glaubt Brockhaus. Aguayo-Krauthausen widersprach und warnte vor einer Annäherung: Sich auf die politischen Forderungen der AfD einzulassen, sie als konservative Partei gar zu übernehmen, laufe nur darauf hinaus, dass die Menschen das „Original wählen“ würden. Die Union müsse aufhören Linke mit Rechten gleichzusetzen und die Gefahr klar benennen, so der Blogger.

Brantner und Bär sprachen ausführlicher über Klimaschutz, aber auch über die gescheiterte Wahl von Brosius-Gersdorf. Dabei verteidigte Bär die Parteilinie – es sei im Grunde legitim, dass Abgeordnete noch spät Zweifel anmeldeten – während Brantner daran erinnerte, dass es langfristige Absprachen und genug Gelegenheit zu frühzeitigem Dissens gegeben habe. Die Grünen-Vorsitzende warf der Union vor, die Kandidatin beschädigt zu haben, indem man sie „tagelang durch die Manege“ gezogen und es zugelassen habe, dass sich in den sozialen Medien „Lügen-Sharepics“ über Brosius-Gersdorf und ihre vermeintlichen Positionen verbreiteten. Von der Kampagne habe sich die Union in einen „Hühnerhaufen“ verwandeln lassen.

Elder statesman ohne Blatt vorm Mund

Mit Wulff kam Maischberger am Ende der Sendung nochmal auf die Frage eines AfD-Verbots zurück. Der ehemalige Bundespräsident muss da auf niemanden mehr Rücksicht nehmen, plädierte für ein Verbotsverfahren: Wenn die Bund-Länder-Arbeitsgruppe genug Gründe dafür fände, sei ein Verbot richtig. Politiker der AfD, das zeige auch der jüngste Bericht, gäben immer wieder „Ungeheuerlichkeiten“ von sich, wie etwa Vergleiche der demokratischen Institutionen mit der Nazi-Herrschaft. Viele Schriften, etwa die von Maximilian Krah, seien gar nicht mehr zu bekommen, weil sie auf dem Index stehen.

Auch Wulff äußerte sich zur gescheiterten Wahl von Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin. Es seien „ganz viele Fehler gemacht“ worden, wodurch „ganz viel Vertrauen verloren gegangen“ sei. Auch die Sozialdemokraten würden vielleicht demnächst etwas nicht mittragen, was schon vereinbart sei, warnte Wulff. Ohne Namen nennen zu wollen, sagte er, es seien „einige unterwegs in Berlin, die so eine Mischung haben aus Unerfahrenheit und Selbstüberschätzung.“ Diese Personen müssten „sich mal fragen, ob sie nicht ein bisschen demütiger an die Sache rangehen.“ Maischberger versuchte es mit der Frage: „Aber damit meinen Sie nicht Jens Spahn?“, ohne Erfolg. Das war für den nüchternen Niedersachsen schon sehr deutliche Schelte, wenn auch ohne direkten Adressaten.

Wulff äußerte sich auch zum Gazakrieg und forderte, dass Deutschland auf eine sofortige Verbesserung der humanitären Situation drängen müsse. Die Palästinenser hätten ein Recht auf einen eigenen Staat und die Wahrung ihrer Menschenrechte. Sie dürften auch nicht in „Geiselhaft“ genommen werden. Als Maischberger wissen wollte, ob dazu auch ökonomischer Druck auf Israel gehöre, wollte Wulff aber nicht konkret werden.

Seiner eigenen Partei legte Wulff ans Herz, selbstkritisch darüber nachzudenken, was passiere, wenn immer nur „vier Männer“ alles entschieden und damit „85 Prozent“ des Landes – Frauen, Ostdeutsche, Menschen unter 40 – nur eine Nebenrolle spielten. Man brauche aber mehr Frauen, jüngere Menschen oder auch Migranten in der Politik. Eigentlich, so Wulff, hingen doch die meisten der gegenwärtigen Probleme mit Männern zusammen. Kulturkämpfe nutzten im Übrigen nur der AfD. Schade, dass es an dieser Stelle keine Kommentatoren-Runde mehr gab. Sonst hätte man vielleicht erfahren, was Nena Brockhaus, Autorin des Buches „Alte weise Männer“, von dieser These hielt.