
Auch der CSU-Vorsitzende Söder hat nun in den Chor derer eingestimmt, die singen, die gescheiterte Richterwahl sei zwar kein Ruhmesblatt für die schwarz-rote Koalition, aber nichts völlig Ungewöhnliches; auch früher seien schon Kandidaten abgelehnt worden. Früher hätten Abgeordnete freilich nicht erst rebelliert, nachdem der Kanzler und die Vorsitzenden der Unionsfraktion für den umstrittenen Kandidaten eingetreten waren.
Kein Ausweis von Führungsstärke
Denn mit einem solchen Last-minute-Aufstand, und geschehe er aus Gewissensgründen, ist zwangsläufig eine Beschädigung der eigenen Führung verbunden, die nicht sicherstellen konnte, dass ihre Truppe ihren Entscheidungen und den getroffenen Abmachungen mit dem Koalitionspartner folgt. Das ist kein Ausweis von Führungsstärke, sondern von Schwäche, der schon nach zwei Monaten die bereits von der Kanzlerwahl aufgeworfene Frage wiederbelebt, inwieweit Merz sich auf seine Machtbasis im Bundestag verlassen kann.
Das aber ist die Mindestvoraussetzung für das bevorstehende Ringen mit der SPD um die Reformprojekte, die der Kanzler durchsetzen will. Selbst seine vorsichtigen Andeutungen zur Beschneidung des Bürgergelds rufen schon harsche Abwehrreaktionen hervor. Ob die SPD bereit ist, Söders Vorschlag zu folgen und im heißen Herbst anstelle von Brosius-Gersdorf eine andere Person für das Richteramt vorzuschlagen? Ein solcher Verzicht würde jedenfalls einen Preis haben, von der Union zu zahlen in der Personal- oder Sachpolitik.
Der Zwang zur Einigung der Regierungsparteien würde auch dann nicht kleiner, wenn die Verfassungsrichter künftig mit einfacher Mehrheit gewählt werden könnten. Das hält Söder angesichts der Stärke der AfD und der Linkspartei für ratsam, um nicht länger zu „Konsensverrenkungen“ genötigt zu sein. Zerlegte sich aber auch die amtierende Koalition im Streit, dann könnte die AfD sogar zur stärksten Partei werden, im Extremfall mit einer eigenen (einfachen) Mehrheit. Die würde ihr nach einer Reform à la Söder auch genügen, um Richterstellen in Karlsruhe zu besetzen.