
Am Montagabend könnte es trotz voriger Aufregung noch erstaunlich glattgehen im Bundestag: Der Richterwahlausschuss soll drei neue Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht empfehlen. An einer von zwei SPD-Kandidatinnen, Frauke Brosius-Gersdorf, hatte es aus der Unionsfraktion überraschend scharfe Kritik gegeben. Dennoch werden die Kandidaten heute wohl die acht von zwölf Stimmen bekommen, die sie benötigen.
Denn angesichts wackeliger Mehrheiten versuchte die Unionsführung
zu Wochenbeginn, die Wogen zu glätten. CSU-Landesgruppenchef Alexander
Hoffmann etwa rief zur Wahl von Brosius-Gersdorf auf. Es brauche „ein
geschlossenes Votum der Parteien der Mitte, um die Funktionsfähigkeit
des höchsten deutschen Gerichts sicherzustellen“. Fünf Unionsabgeordnete
sitzen im Wahlausschuss. An ihnen wird die Wahl, so hört man, nicht
scheitern. Die eigentliche Wahl am Freitag im Plenum könnte dagegen dramatisch verlaufen. Denn um ihre Kandidatinnen durchzubekommen, brauchen SPD und Union die Stimmen der Linken. Und gerade in Bezug auf CDU und CSU erwarten diese dafür eine Gegenleistung – als Ausgleich für eine noch offene Rechung.
Im Wahlausschuss indes haben AfD und Linke durch einen statistischen Zufall in dieser Legislaturperiode keine Sperrminorität, im Plenum des Bundestags schon. Dort brauchen Union und SPD für die Zweidrittelmehrheit alle Stimmen aus
ihren Reihen, alle aus der Grünenfraktion und mindestens sechs Stimmen
aus der Linken, wenn sie nicht auf die AfD angewiesen sein wollen.
Vorausgesetzt, alle Unionsabgeordneten stimmen zu. Allerdings hat
zumindest die Unionsabgeordnete Saskia Ludwig die Kandidatin Brosius-Gersdorf bereits als
„unwählbar“ bezeichnet.
Als Beispiel ihrer fehlenden Qualifikation sieht Ludwig, dass Brosius-Gersdorf sich in der Coronapandemie für eine Impfpflicht aussprach. Ludwig ist bislang die einzige Kritikerin, die sich namentlich äußert. Sonst kam die Kritik von anonymen CDU-Abgeordneten: Als „ultralinke Juristin“ hatte einer die Potsdamer Rechtsprofessorin gegenüber der FAZ bezeichnet. Es könne nicht sein, dass die Union jemanden wie sie zur Bundesverfassungsrichterin wähle. Ein anderer CDU-Abgeordneter hatte sie wegen ihrer Positionen zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch als „lebenskritisch“ und deshalb als nicht wählbar bezeichnet.
Linke noch sauer wegen verhinderter Reichinnek-Wahl
Im Wahlausschuss am Montagabend werden sich die drei Kandidaten vorstellen – neben Brosius-Gersdorf sind das Günter Spinner, bisher Richter am Bundesarbeitsgericht, und die Rechtsprofessorin Ann-Katrin Kaufhold. Danach können die Abgeordneten sie befragen. Für die Linke sitzt die Abgeordnete Clara Bünger im Wahlausschuss. Im Gespräch mit der ZEIT schließt sie nicht aus, am Ende ebenfalls eine Empfehlung für die Kandidaten abzugeben – obwohl es auf ihre Stimme nur ankommen wird, sollte ein CDU-Abgeordneter gegen Brosius-Gersdorf stimmen. Festlegen will sich Bünger nicht: „Ich werde mir genau anschauen, wie die Union sich gegenüber den Kandidatinnen verhält“, sagt sie. „Wir Linke warten außerdem auf ein Zeichen, dass die Union sich uns gegenüber bewegt.“
Bei der Linken ist man noch sauer, dass die Union mit ihren Stimmen vor zwei Wochen die Wahl der Linken-Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek in das Kontrollgremium für die Geheimdienste verhinderte. „Man muss mit uns reden, wenn man auf unsere Stimme zählen möchte“, sagt Bünger. Für die Zukunft fordert die Linke ein eigenes Vorschlagsrecht für Kandidaten des Verfassungsgerichts. Der Abgeordnete Dietmar Bartsch erinnerte die Union am Wochenende außerdem daran, dass sie beim nächsten Wahlgang zum Geheimdienstgremium „die irrsinnige Blockade“ gegen Reichinnek korrigieren solle. Irgendein Tauschgeschäft der Union, so viel ist klar, erwartet die Linke für ihre etwaige Unterstützung bei der Richterwahl.
Ob CDU und CSU sich auf diesen Kurswechsel einlassen, ist unklar,
schließlich verweigert sich die CDU wegen ihres
Unvereinbarkeitsbeschlusses jeglicher inhaltlicher Kooperation mit der
Linken. Die allgemeine Befürchtung ist nun, dass die AfD die
unklare Lage nutzen könnte, um Chaos zu stiften. Zum Beispiel indem sie
am Freitag den CDU-Kandidaten Günter Spinner mitwählt. Dann könnte sie im Nachhinein behaupten,
erstmals in der Geschichte Deutschlands gebe es einen Verfassungsrichter von
Gnaden der AfD.