
Kunst ist ja meist nur vermeintlich stumm, sondern vom Künstler zur freien Verfügung und Deutung gelegte Spur. Auch Ausstellungsräume sind längst keine Heiligen Hallen ehrfürchtigen Schweigens mehr. Aber der Nimbus bleibt, das Bedürfnis des Publikums nach Gespräch ebenso, und so öffnen sich seit einigen Jahren so manche Museen für Partizipation und Austausch.
Beispiele wären der „Zwischenraum“ des Hamburger „Museums am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt“ (MARKK), das seit sechs Jahren, ergänzend zu den großen Ausstellungen im übrigen Haus, einen Raum für kleine aktuelle Ausstellungen, für Diskussions- und Musikveranstaltungen bietet, dazu das ganz besondere Vinyl-Archiv.
Die „Overbeck Gesellschaft – Kunstverein Lübeck“ ist zu klein und beengt, um einen zusätzlichen Raum zu öffnen. Dennoch hat sich Direktorin Paula Kommoss Anfang Juli entschieden, den Ausstellungsbetrieb durch eine neue Reihe namens „Format O“ zu beleben Die Reihe lade ein, „gemeinsam zu hören und zuzuhören“, erklärt Kommoss. Eine Fähigkeit, die – sowohl in Bezug auf Debatten als auch auf Musik – neu einzuüben wichtig sei. „Wir bieten einen Rahmen für das gemeinsame Erleben und Reflektieren von Öffentlichkeit, unserer Gesellschaft und Musik“, sagt sie.
Durch Listening Sessions, Performances, Konzerte und Gesprächsveranstaltungen solle „ein Raum des Austausches geschaffen werden, in dem neues Wissen geteilt und generiert wird“. Man wolle in enger Zusammenarbeit mit Künstler:innen, Musiker:innen, Akteur:innen und Wissenschaftler:innen partizipative Räume des offenen Austauschs schaffen – und das jeweils in der ausstellungsfreien Zeit, zwischen Ab- und Aufbau gewissermaßen.
Lesung Listening Session mit Elisaveta Braslavskaja: 10. 7., 18 Uhr, Overbeck-Pavillon, Königstraße 11, Lübeck
Erster Gast von „Format O“ war am 3. Juli die feministische Hamburger Künstlerin und Musikerin Cordula Ditz, die mit der Direktorin über ihre künstlerische Entwicklung und Erinnerungskultur sprach. Zweite Eingeladene wird am 10. Juli die an der Mainzer Kunsthochschule lehrende, in Marburg geborene Elisaveta Braslavskaja sein mit einem sehr persönlichen Sortiment persischer Musik, mit der sie aufgewachsen ist. Da wäre etwa die – persische Lyrik mit Jazz und Pop verbindende – iranische Kult-Sängerin Googoosh, die in den 1960er- und 1970er-Jahren ein emanzipiertes Leben verkörperte.
Das Resultat: eine neue, alle Zeitschichten verbindende Erzählung, vielleicht Identität
Ab 1979 verbot das Mullah-Regime Pop allgemein und speziell öffentliche Auftritte von Frauen; für Gogoosh faktisch ein Berufsverbot. Seit ihrer Ausreise 2000 nach Kalifornien tritt sie wieder auf und kämpft auch für die Freiheit besonders von Frauen im Iran. Braslavskaja lernte Gogoosh durch eine CD ihres Vaters kennen; Ausschnitte wird sie jetzt in Lübeck zu Gehör bringen. Außerdem hat sie persischen Funk und Pop dabei – und schließlich klassische persische Musik des 2020 verstorbenen Sängers Mohammad-Reza Shajarian.
Mit all dieser Musik ist Braslavskaja aufgewachsen, um alle Stücke ranken sich familiäre Erinnerungen. „Für mich bedeutet diese Musik Freude, in gewisser Weise ein Zuhause, und das bis heute“, sagt sie. Auch den Klang des Santur, eines mit Klöppeln bespielten Hackbretts, das die traditionelle Musik Persiens und des Iraks prägte, wird sie an diesem Abend vorstellen.
Sie selbst beherrscht das Instrument nicht, „aber bei Familientreffen gab es immer jemanden, der es dabei hatte und darauf spielte“, erzählt sie. „Ich war von Anfang an begeistert, wie man mit so viel Leichtigkeit so schöne Klänge erzeugen kann.“
Ein sehr persönliches musikalisches Erinnerungspanorama, wird sich so entfalten, in Methode und Zugang analog zu Braslavskajas Kunst: Da bestickt sie stark vergrößerte biographische Fotos mit Ornamenten, hebt das Zweidimensionale also in haptisch Dreidimensionales und „aktualisiert“ die Fotos, hebt sie ins Heute. Das Resultat, wie bei der mitgebrachten Musik: eine neue, alle Zeitschichten verbindende Erzählung, vielleicht Identität.