
Witzbolde könnten jetzt sagen, dass der Amtssitz des Premierministers in Tokio demnächst eine neue Ausstrahlung bekommt. Immerhin will die japanische Regierung laut ihrem Umweltministerium in diesem Juli die Idee umsetzen, sehr schwach radioaktive Erde aus Fukushima in der Gartenanlage des Anwesens zu verwenden. Aber erstens ist der Scherz etwas fad. Zweitens will die Regierung mit dem Vorhaben ja genau das Gegenteil beweisen: dass besagte Erde die Strahlung am Einsatzort eben nicht verändert, wenn man mit ihr richtig umgeht.
Mehr als 14 Jahre ist es her, dass das Große Ostjapan-Erdbeben einen Tsunami auslöste, der das Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi zerstörte. Mehr als 160 000 Menschen mussten damals, nach der Katastrophe im März 2011, wegen der Strahlung ihre Heimat verlassen. Zaghaft kehrt das Leben mittlerweile sogar in die Städte Okuma und Futaba zurück, auf deren Gebieten die kaputten Reaktoren liegen. Aber diese zurückzubauen, wird noch Jahrzehnte dauern. Und es gibt viel Müll zu entsorgen. Zum Beispiel 14 Millionen Kubikmeter Erde, die bei der Dekontaminierung von Häusern und Feldern anfielen.
Noch befindet sich die Erde in Zwischenlagern rund um das Kernkraftwerk. Aber bis März 2045 muss sie außerhalb der Präfektur Fukushima endgelagert werden, das besagt ein Gesetz. Soweit es geht, will die Regierung Teile davon bei öffentlichen Bauvorhaben verwenden. Nur wo? Radioaktivität macht den Menschen Angst, weil man sie weder sieht noch riecht. Und für Laien ist es schwierig zu verstehen, dass laut der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA mancher radioaktive Abfall nach einer gewissen Abklingzeit tatsächlich für Straßenarbeiten oder anderes geeignet sein soll.
Unten Fukushima-Erde, darüber normale Erde
Mit ihren bisherigen Ideen für die Fukushima-Erde stieß Japans Regierung jedenfalls auf Widerstand. Deshalb will sie jetzt auf staatseigenem Gelände ein Zeichen setzen. Die Idee ist nicht neu. Schon 2020 ließ der damalige Umweltminister Shinjiro Koizumi an seiner Behörde Topfpflanzen mit Dosimeter zur Strahlenmessung aufstellen, um zu zeigen, wie harmlos die umstrittene Erde ist.
Aber das neue Projekt am Premierminister-Amtssitz mit Residenz geht über Blumentöpfe hinaus. Laut Umweltministerium soll in dessen Vorgarten eine zwei mal zwei Meter große Fläche mit einer 60-Zentimeter-Schicht Fukushima-Erde bedeckt werden. Über diese komme dann eine 20-Zentimeter-Schicht normale Erde. Die Strahlenwerte rund um diesen flachen Hügel will das Ministerium veröffentlichen. „Der Amtssitz des Premierministers ist einer der symbolträchtigsten Orte Japans“, erklärte der aktuelle Umweltminister Keiichiro Asao auf einer Pressekonferenz, „wenn wir dort die Sicherheit der Wiederverwendung deutlich machen“, könne das dazu beitragen, künftige Projekte mit den Hinterlassenschaften der Atomkatastrophe zu beschleunigen.
Klarer Fall von Entsorgungs-PR. Japans Normalmenschen sollen erkennen: Wenn der Premierminister in seinem Vorgarten Nuklearmüll aufschüttet, kann ich das auch machen. Regierungschef Shigeru Ishiba gibt sich praktisch als Versuchskaninchen her. Schön für seine politischen Gegner, könnten Witzbolde sagen.