Nico Hülkenberg fährt zum ersten Mal auf ein Formel-1-Podium

Die Briten auf den Rängen, bestimmt alle 168.000, erhoben sich von ihren Sitzen. Sie jubelten, winkten und klatschten. Für ihren Landsmann, den McLaren-Piloten Lando Norris, der an diesem verregneten Sonntagnachmittag den britischen Grand Prix in Silverstone gewann, für Lewis Hamilton, den Rekordweltmeister der Formel 1, der im Ferrari Vierter wurde.

Aber die Hunderttausend, ob in McLaren-Orange, Mercedes-Silber oder Ferrari-Rot, jubelten, winkten und klatschten auch für einen Deutschen. Sie erhoben sich für Nico Hülkenberg, den Rennfahrer aus Emmerich am Niederrhein, der im Sauber vom letzten Platz gestartet auf den dritten Rang nach vorn raste. Der Rheinländer auf dem Podium, zum ersten Mal in seiner 239 Grands Prix währenden Formel-1-Karriere, die vor mehr als 15 Jahren begann.

„Hat ganz schön lange gedauert“, sagte Hülkenberg im Ziel und lachte, während ihm sein Team mit Sprechchören zujubelte: „Nico! Nico! Nico!“ Der WM-Führende Oscar Piastri, der nach einer Zehn-Sekunden-Strafe Zweiter wurde und gerade einmal acht Jahre alt war, als Hülkenberg zum ersten Mal in der Formel 1 startete, wusste einzuschätzen, wie besonders dieser Moment war. „Glückwunsch an Nico“, sagte der Australier, „das ist das Highlight des Tages.“

Sauber-Teamchef Jonathan Wheatley sprach vom „überfälligsten Podestplatz in der Geschichte der Formel 1“. Und Lando Norris, der Sieger, der in der Weltmeisterschaft auf acht Punkte an Teamkollege Piastri heranrückte, wollte von Hülkenberg, dem 37-Jährigen, vor allem eines wissen: „Wie hast du das nur geschafft?“ Doch wo sollte er da bloß anfangen und wo aufhören?

Das englische Sommerwetter – 18 Grad Celsius, mal Sonnenschein, mal Regenschauer – wirbelte die Tour über das Gelände eines früheren Militärflugplatzes von Beginn an durcheinander. Für den Start schnallten die Piloten Intermediate-Reifen auf – die beste Wahl für die vom Regen feuchte, stellenweise sogar nasse Fahrbahn. Die Spitze hielt sich anfangs schadlos.

„Es ist zu nass für Slicks“

Max Verstappen, der tags zuvor zur Pole-Position gerast war, hielt sich vor den beiden McLaren. Langsam trocknete die Piste ab, doch wer es zu früh wagte, auf die profillosen Slicks zu wechseln, bezahlte dafür teuer: Hülkenbergs Teamkollege Gabriel Bortoleto schlitterte früh ins Kiesbett und schied aus. „Es ist zu nass für Slicks“, meldete Oscar Piastri aus dem Cockpit und sprach ein wahres Wort gelassen aus. Hülkenberg ging auf Nummer sicher, tauschte seine abgenutzten Intermediates gegen einen frischen Satz der gleichen Sorte.

Weil neben Bortoleto auch noch andere Piloten von der Bahn kreiselten, prägten etliche Neutralisierungen die Anfangsphase, sodass immer wieder Überholverbot galt. Als es richtig losging, zögerte Piastri nicht lange, überholte Max Verstappen kompromisslos und ging in Führung. Da jubelten auch die Zehntausend auf der Lando-Norris-Fantribüne am Ende der berühmten Hangar Straight. Als es bald darauf wieder heftig regnete, beorderte der Rennleiter das Safety-Car auf die Strecke. Die Gefahr für einen schlimmen Unfall durch Aquaplaning war zu hoch.

Für eine Runde herrschte wieder freie Fahrt, da verursachte das aufspritzende Wasser einen schweren Crash. Bei Nullsicht rauschte Isack Hadjar (Racing Bulls) dem Mercedes von Kimi Antonelli ins Heck. Als er im letzten Moment die Rücklichter des Silberpfeils erkannte, war es zu spät.

Hadjar entstieg seinem zerstörten Dienstwagen unverletzt, Antonelli musste aufgeben, und wieder kam das Safety-Car raus. Etwas mehr als ein Drittel der 52 Umläufe war absolviert, da hatte es Hülkenberg von Platz 19 aus schon auf Rang fünf gespült. Er profitierte von den etlichen Ausrutschern und zwischenzeitlichen Versuchen der Konkurrenz, mit Trockenreifen besser dran zu sein.

„Er hat so plötzlich abgebremst!“

Die Entscheidung um den Sieg fiel in der 21. Runde, kurz vor Ende einer Safety-Car-Phase. Piastri, der Führende, bremste plötzlich hart ab, um den anstehenden Neustart vorzubereiten. Hintermann Max Verstappen schoss unter Überholverbot vorbei: „Er hat so plötzlich abgebremst!“, beschwerte sich der Weltmeister am Funk.

Die Rennkommissare erkannten in Piastris Manöver ein gefährliches Foul und bestraften ihn mit zehn Extrasekunden. Weil Verstappen nur Augenblicke später, noch ehe der Neustart erfolgte, selbstverschuldet von der Strecke kreiselte und zurückfiel – er wurde schließlich Fünfter –, übernahm Lando Norris virtuell die Führung, lag auf Siegkurs.

Denn so eng, wie es zwischen den McLaren-Piloten zugeht – im Renntempo distanzierten sie die gesamte Konkurrenz ohne große Mühe –, erschien es unrealistisch, dass Piastri einen derart großen Vorsprung herausfahren könnte, um trotz Zeitstrafe vor Norris zu bleiben. Also wurde der 25 Jahre alte Engländer Norris nach 52 Runden (306 Kilometer) als Sieger abgewinkt. Der Kampf um den Titel, den die McLaren-Männer unter sich ausmachen, bleibt eng.

Und Hülkenberg? Durch Verstappens Dreher auf Rang vier befördert, stand nur noch der Kanadier Lance Stroll im Aston Martin zwischen ihm und dem großen Coup. Dass die Piste im Finale trocknete und die Rennleitung daraufhin die Überholhilfe DRS freischaltete, erwies sich als das Glück des Rheinländers: vorbei an Stroll – Dritter. Ausgestanden war es damit nicht, denn von hinten nahte Rekordsieger Lewis Hamilton im Ferrari. „Der Druck war enorm“, erzählte Hülkenberg im Ziel, „Lewis holte schnell auf.“ Zumal Hamilton zehn Runden vor Ultimo noch einmal neue Reifen aufziehen ließ: Slicks.

Derart unter Zugzwang kam Hülkenberg einen Umlauf später ebenfalls zum Service – und musste einen Schreckmoment überstehen. Denn vorne links hakte es beim Reifenwechsel, wertvolle Sekunden verstrichen. Hamilton konnte den Patzer nicht nutzen, auf kalten Reifen eierte er über den Kurs, in Schlagdistanz schaffte er es nicht mehr. „Tut mir leid für die Hamilton-Fans“, habe er am Steuer gedacht, erzählte Hülkenberg, „aber heute ist mein Tag.“ Bis zum letzten Boxenstopp habe er aber nicht wahrhaben wollen, dass es endlich klappen würde mit dem Podium, verriet er. Und doch verspritzte er am Ende oben auf dem Podium Champagner, während Teamchef Wheatley ein Fazit zog, das vollumfänglich einleuchtete: „Das“, sagte der Brite, „war eine Meisterleistung von Nico.“