EU-Bericht: Zahl der Asylanträge in Deutschland drastisch gesunken

Erstmals seit Jahren ist Deutschland bei den Asylanträgen nicht mehr Spitzenreiter in Europa. Ein vertraulicher Bericht der EU-Kommission zeigt, wie stark die Zahl der Schutzsuchenden rückläufig ist. Eine Entwicklung macht Brüssel jedoch große Sorgen.

Die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge ist drastisch gesunken. Zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni wurden bundesweit 65.495 Asylanträge gemeldet – das ist ein Rückgang von 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das geht aus einem vertraulichen Bericht der EU-Kommission hervor, der WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegt.

Erstmals seit Jahren ist Deutschland damit gemessen an der Zahl der Schutzanträge nicht mehr Spitzenreiter in Europa, sondern steht nun an dritter Stelle. Die meisten Asylanträge in der EU meldete Spanien (76.020), gefolgt von Frankreich (75.428). Schlusslichter sind Ungarn (47 Asylanträge), die Slowakei (84) und Litauen (152).

Auch insgesamt ist die Anzahl der Menschen rückläufig, die in den Ländern der EU plus Norwegen und der Schweiz Asyl suchten. In Summe führt der Bericht 388.299 Anträge auf – ein Minus von 23 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2024. EU-weit kamen die meisten Schutzsuchenden aus Venezuela (48.413), Afghanistan (41.127) und Syrien (23.307).

Zielland Nummer eins für Venezolaner ist Spanien, Deutschland hingen ist klarer Favorit bei Afghanen und Syrern. Die meisten Antragsteller in Deutschland kamen aus Afghanistan (22 Prozent), Syrien (20 Prozent) und der Türkei (11 Prozent).

„Ein wesentlicher Grund für den Rückgang der Zahlen sind – neben saisonalen Effekten und einer verstärkten Kooperation zwischen Drittstaaten und der EU-Grenzschutzbehörde Frontex – die Partnerschaftsabkommen mit wichtigen nordafrikanischen Ländern“, sagte EU-Migrationsexpertin Lena Düpont (CDU). Tatsächlich gelten die neuen, teilweise milliardenschweren Unterstützungspakete, welche die EU-Kommission unter Führung von Präsidentin Ursula von der Leyen in der Vergangenheit an Länder wie Tunesien oder Ägypten vergeben hatte, als äußerst erfolgreich.

Der Deal: Die Länder können Kredite und Investitionen aus der EU nutzen, um das heimische Gesundheits- und Bildungswesen zu verbessern, aber auch, um ihre Sicherheitsbehörden und den Grenzschutz auszubauen. Ziel ist, die Länder wirtschaftlich zu stärken und so auch die Gründe für Migration zu reduzieren.

Libyen-Route steht im Fokus

Dem deutlichen Rückgang der in Deutschland und Europa gemeldeten Asylanträge folgen Rufe nach weiteren Schritten, um Migration zu begrenzen. Der Bericht zeige, „dass die Maßnahmen wirken“, sagte der EU-Abgeordnete Jan Christoph Oetjen (FDP). „Aber darauf darf man sich jetzt nicht ausruhen. Wir müssen weiter dafür sorgen, dass wir die Migrationsfrage in der gesamten EU in den Griff bekommen.“ Dazu gehöre auch die Stärkung von Frontex zum Schutz der Außengrenzen. „Gerade hier müssen wir ansetzen und die Grenzschutzagentur weiter ausbauen.“

Trotz des Rückgangs bei den Asylanträgen macht Brüssel ein Thema besondere Sorgen. Immer mehr Menschen flüchten seit Monaten aus Libyen – ein Land, mit dem die EU ebenfalls ein Partnerschaftsabkommen abgeschlossen hatte. Im anhaltenden Bürgerkrieg spielt der von Russland unterstützte Rebellen-General Chalifa Haftar eine zentrale Rolle. Besonders betroffen von neuen Migranten aus Libyen ist die griechische Insel Kreta, wo Aufnahmeplätze fehlen. Schätzungsweise 90.000 Menschen warten in Libyen momentan auf eine Überfahrt nach Europa.

EU-Migrationskommissar Magnus Brunner, der sieben Monate nach seinem Amtsantritt parteiübergreifend bereits großen Respekt in den Hauptstädten der EU genießt, wird in der kommenden Woche nach Libyen reisen und dort Gespräche führen. „Dieser Schritt ist richtig“, sagt CDU-Politikerin Düpont. „Die Augen vor Problemen zu verschließen und erst zu reagieren, wenn sich die Menschen bereits auf ihrem Weg nach Europa befinden und dabei auf dem Mittelmeer möglicherweise sterben, wäre grundfalsch.“

Es komme darauf an, „die Menschen schon vor einer möglichen Flucht im Herkunfts- oder Transitland bestmöglich zu unterstützen“, so die Innenexpertin im EU-Parlament. Dazu gehöre auch, sich mit „schwierigen Partnern zu engagieren“.

Hintergrund ist, dass der von den Vereinten Nationen anerkannten libyschen Regierung der Nationalen Einheit unter Premierminister Abdul Hamid Dbeiba Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Denkbar ist zudem, dass Russland die angespannte Lage durch seinen Einfluss auf den rivalisierenden General Haftar anzuheizen versucht, um im Rahmen einer hybriden Kriegsführung durch mehr Migration Druck auf den Westen auszuüben.

Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.