
Mitten in … London
London, 30 Grad, die Sonne brennt. Der Fluss stinkt, aber das Bier ist kühl, und an der Mauer neben dem Pub steht ein Schatten spendender Baum. Man lehnt sich an die zwei Meter hohe Mauer, unterhält sich, über das Wetter (die Hitze!), das Bier (lecker) und Tom Hardy (wohnt in der Nähe). Dann: Bewegung. Eine betagte Dame taucht oben auf, sie blickt herab, sie möchte etwas sagen. Sie lächelt, man denkt an die Queen, man denkt an Evita Peron, „ich“, setzt die Frau an, im höflichsten Tonfall, seit es Briten gibt: „Ich möchte Ihre Unterhaltung nicht hören.“ Die britische Höflichkeit maskiert wirklich alles Fiese. Egal, nächster Pub. Erster Schluck: oh je. Auf den Hinweis, das Bier schmecke, I’m very sorry, wie Essig, lächelt die Barkeeperin. Don’t worry, darling, säuselt sie. Mit dem Bier aus diesem Fass habe schon gestern etwas nicht gestimmt. Michael Neudecker

Mitten in … Heidelberg
Gemächlich tuckert das Schiff der „Weißen Flotte“ neckaraufwärts. An Bord die herkömmliche Allerwelts-Touristenschar: pausenlos fotografierende Rentner in kurzen Hosen, Amerikaner und Japaner. Und dazu eine muntere, aber sehr disziplinierte 20-köpfige Schulklasse aus Hessen. Die etwa zehn Jahre alten Buben und Mädchen, alle ohne Handys, haben sichtlich Freude an dem Ausflug. Bei der knappen Durchfahrt unter der berühmten Alten Brücke recken sich wie auf Kommando mehr als ein Dutzend Hände in die Höhe und vielstimmig wird getestet, wie stark der Schall reflektiert. Am meisten Spaß aber hat die Meute, als sie einen einsamen Schwimmer im Fluss entdeckt. „Ist es kalt?“, ruft eines der Kinder. Der Mann taucht kurz unter und prustet dann ein freundliches „Ja“ zurück. Postwendend folgt aus der Schülerschar ein sehr besorgter Rat: „Erkälten Sie sich nicht!“ Werner Schmidt

Mitten in … Augsburg
Die Babyboomerin jongliert mit drei Jobs. Erstens, weil sie gerne arbeitet. Zweitens, weil sie zwei Kinder hat, die im Ausland studieren und kein Bafög bekommen. Und drittens, weil es auch keine Lösung ist, deprimiert im „leeren Nest“ zu sitzen. An einem trubeligen Montag auf dem Weg von Job 1 zu Job 2 merkt sie, dass sie keinen Schlüssel für den Hörsaal hat und auch kein Geld, um sich ein Mittagessen zu kaufen. In dem Alter kann man ja schon mal etwas vergessen. Ihre Gedanken beginnen hektisch zu kreisen: Wie umgarne ich die Mensa-Angestellte, damit sie mir Kredit gibt? Wer kann mir den Hörsaal aufsperren? Und welche Vokabel-Aufwärmübung mache ich mit dem A2-Kurs? Da schnappt sie Gesprächsfetzen von zwei Mädchen auf, Erstsemester vermutlich, deren Studium erst vor gut einer Woche begonnen hatte: „Oh Gott, ich bin soooooo überstimuliert.“ Susanne Perras
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