Rad, Florian Lipowitz: Die spannendste Personalie der Tour de France

Florian Lipowitz war eigentlich gar nicht für die Tour de France vorgesehen. Doch der junge Deutsche überraschte zuletzt die Radsport-Elite. Gut möglich, dass ihm beim Tour-Debüt direkt der Durchbruch gelingt. In Frankreich schwärmen sie bereits von ihm.

Am Montag wurde die Liste noch einmal verlängert. Der niederländische Rad-Rennstall Team Picnic PostNL verkündete, dass Niklas Märkl zum Aufgebot für die Tour de France zählen wird. Zuvor hatte bereits das Schweizer Tudor Team die Teilnahme des Tübingers Marius Mayrhofer bestätigt. Damit gehen bei der 112. Ausgabe der Frankreich-Rundfahrt am Samstag nun zehn deutsche Fahrer an den Start.

Obwohl Namen wie Maximilian Schachmann, Nils Politt oder Emanuel Buchmann mittlerweile auch einer breiteren Öffentlichkeit geläufig sind und Sprinter wie Pascal Ackermann oder Phil Bauhaus in den vergangenen Jahren schon zahlreiche Siege einfahren konnten, sind die Augen in der Szene vor allem auf einen Debütanten gerichtet: Florian Lipowitz.

Im Radsportland Frankreich gilt er bereits als „Der Deutsche mit dem großen Motor“, seit die L‘Equipe ihm vor drei Wochen ein ganzseitiges Porträt mit entsprechender Überschrift widmete. Anlass waren die konstant guten Leistungen des 24-Jährigen im Zeitfahren und am Berg bei der Dauphiné-Rundfahrt. Und wer auf den Anstiegen und im Kampf gegen die Uhr zu den Schnellsten zählt, ist auf den Rundfahrten ein Kandidat für die Gesamtwertung.

Buchmanns Comeback im neuen Trikot

Ungewöhnliche Qualitäten für einen Deutschen, die in der Zeit nach Jan Ullrich allenfalls im Sprint oder bei den Klassikern um vordere Plätze mitfuhren. Emanuel Buchmann ließ 2019 bei der Tour mal mit einem vierten Rang im Endklassement aufhorchen. Es war die beste Platzierung seit Andreas Klödens zweitem Platz aus dem Jahr 2006. Doch die positiven Signale blieben letztlich unbestätigt. Buchmann wagt nun nach neun Jahren bei Bora-hansgrohe im Sattel von Cofidis einen Neuanfang.

Eine durchaus spannende Personalie, zumal der einstige deutsche Hoffnungsträger und das seit Juni 2024 unter dem Namen Red Bull-Bora-hansgrohe firmierende einzige deutsche Top-Team nicht im Guten auseinandergingen. Doch die Aufmerksamkeit gilt Lipowitz, nachdem er bei der Tour-Generalprobe Dauphiné trotz namhafter Konkurrenz konstant vorn mitgefahren war, am Ende hinter Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard sogar sensationell auf dem dritten Platz einlief und damit bei vielen die Frage aufwarf, was da eigentlich bei der großen Rundfahrt möglich sein könnte.

„Bis jetzt ist zum Glück noch nicht allzu viel zu mir herüber gedrungen. Im Endeffekt will ich mich eigentlich nur auf mich selbst konzentrieren“, sagt der 24-jährige Tour-Debütant vor dem „Grand Départ“ in Lille.

Doch der gebürtige Schwabe freue sich auch darüber, dass sein Sport im Heimatland „wieder mehr im Hype“ sei. „Wenn man dazu einen Teil beitragen kann, den Radsport in Deutschland wieder ein bisschen größer zu machen, ist das natürlich eine schöne Sache“, so Lipowitz.: „Aber im Endeffekt will ich auch nicht groß im Mittelpunkt stehen. Deshalb versuche ich, das ein bisschen auszublenden.“

Lipowitz will einen Podiumsplatz

Er dürfte daher auch wohlwollend registriert haben, dass dieses Mal wieder ein paar Landsleute mehr dabei sind. Im Vorjahr waren es lediglich acht Deutsche, 2023 hatten es sogar nur sieben in das Fahrerfeld geschafft – die geringste Anzahl seit 2002. Zum Vergleich: 2017 waren es noch 16, ein Jahr später gar 22.

Was nichts daran ändert, dass es – aus deutscher Sicht – seine Tour, sein Durchbruch, werden könnte, um dann in den kommenden Jahren vielleicht sogar ganz oben anzugreifen. Rad-Superstar Pogacar nannte ihn jüngst „eine Gefahr für die Gesamtwertung“. Zwar bezog sich der bei der Tour de France hochfavorisierte Slowene bei seiner Aussage auf die Dauphiné, doch schon bald könnten seine Worte auch für die großen Rundfahrten in Frankreich, Italien oder Spanien passen.

Eine Perspektive, die Lipowitz entgegen seinem zurückhaltenden Naturell auch für sich erkennt. „In den nächsten zwei, drei Jahren möchte ich zu einem Klassement-Fahrer aufsteigen. Ein Sieg bei einer Grand Tour ist noch etwas zu viel verlangt, aber ein Podiumsplatz wäre möglich, wenn alles gut läuft“, sagte das Talent der „L’Equipe“. Er habe zumindest keine Angst vor dem Druck, müsse aber auch noch viel lernen.

Parallelen zu Pogacar

Genau so hatten sie es auch in seiner Mannschaft geplant. Beim Red-Bull-Team wollen sie Lipowitz behutsam aufbauen und hatten ihn für die Frankreich-Rundfahrt ursprünglich gar nicht eingeplant. Selbst während der Dauphiné vermied Sportdirektor Bernhard Eisel noch ein klares Bekenntnis. Zwar seien die Leistungen des Youngsters „weltklasse“ gewesen, so der Österreicher, der „total begeistert von der Performance“ war. Was die Tour-Teilnahme betraf, verwies Eisel jedoch auf die Chefs um Teamchef Ralph Denk. Obwohl Eisel da schon ahnte, dass es nur noch eine Entscheidung geben konnte: „Viel mehr kann man kaum machen, um auf sich aufmerksam zu machen. Übersehen können wir ihn nicht mehr.“

Kurz darauf folgte dann auch die offizielle Nominierung. Lipowitz werde bei seiner ersten Tour als Helfer für Primoz Roglic dabei sein und solle Erfahrungen sammeln. Pogacars Landsmann ist nach völlig verpatztem Giro d‘Italia auch bei der Tour der Kapitän des Red-Bull-Teams. Es mehren sich allerdings die Zweifel, ob der für viele Millionen geholte 35-Jährige noch einmal zum großen Angriff auf Pogacar, Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel ansetzen kann.

Wie schnell sich Konstellationen und Hierarchien verändern können, hat sich in der Vergangenheit nur allzu oft gezeigt. Auch Roglic musste einst im Visma-Team Vingegaard die Kapitänsrolle überlassen. Die Sturzanfälligkeit des Slowenen – wie jüngst wieder beim Giro erlebt – ist ein zusätzliches Risiko für die Mannschaft.

Lipowitz stünde bereit, ist in herausragender Form und hat in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass ihm eine Top-Ten-Platzierung zuzutrauen ist. Im vergangenen Jahr beeindruckte er mit dem siebten Gesamtrang bei der Vuelta. Bei Paris-Nizza wurde er Zweiter, im Baskenland Vierter. Der Höhepunkt folgte dann bei der Dauphiné.

Ob er in der zweiten Tourwoche vor, neben oder hinter Pogacar fährt – die Parallelen zwischen den beiden Teamkollegen sind deutlich. Wie der Tourzweite des Jahres 2020 ist auch „Der große Motor“ lange Zeit auf Winterreifen durch die Sportlandschaft gefahren. Pogacar war erfolgreicher Skispringer, ehe er auf das Zweirad wechselte. Lipowitz betrieb Biathlon und fokussierte sich erst vor fünf Jahren ernsthaft auf den Radsport.

Eine gute Entscheidung, wie in den kommenden drei Wochen zu sehen sein dürfte. Auch wenn Lipowitz noch mit der neuen Rolle fremdelt, Lust hat er allemal auf die große Bühne: „Ich weiß nicht, wie viel Prozent von den Medieneinnahmen bei der Tour generiert werden. Deshalb herrscht natürlich noch mal besonders viel Druck, aber natürlich freue ich mich wahnsinnig darauf.“