Kaum Frauen an der Spitze von Großkanzleien

In den Chefetagen der Dax-Unternehmen sind Frauen längst keine Seltenheit mehr. Im vergangenen Jahr stieg der Frauenanteil in den wichtigsten börsennotierten Konzernen erstmals über die Marke von 25 Prozent. Deutlich rarer sind Frauen an der Spitze von Großkanzleien: In den 20 umsatzstärksten Kanzleien in Deutschland liegt ihr Anteil auf Partnerebene trotz verschiedener Förderinitiativen der Sozietäten im Schnitt nur bei 16 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Untersuchung der Allbright Stiftung, die sich das Thema Gleichstellung auf die Fahne geschrieben hat.

Dabei sind Frauen im Jurastudium seit fast 20 Jahren in der Überzahl. Laut dem Statistischen Bundesamt schaffen mehr Nachwuchsjuristinnen (58 Prozent) das zweite juristische Staatsexamen als ihre männlichen Kollegen im Referendariat. Zwar entscheiden sich schon mit dem Berufseinstieg etwas weniger Frauen als Männer für eine Karriere in einer Großkanzlei, wohlwissend, dass in diesem Typus von Kanzlei wegen des verlangten hohen Arbeitspensums mit häufiger Beanspruchung am Abend und an Wochenenden das Privatleben oft stark leidet. Dennoch ist das Geschlechterverhältnis am Anfang des Berufslebens als Wirtschaftsanwältin oder -anwalt noch recht ausgewogen.

Auf der untersten Karrierestufe in Großkanzleien, also bei den angestellten Anwälten („Associates“) liegt der Frauenanteil noch bei 47 Prozent. Wer sich bewährt, kann nach einigen Jahren zum „Senior Associate“ aufsteigen, was üblicherweise die Voraussetzung für die weiteren Karrierestufen wie „Salary Partner“ oder zum „Counsel“ ist. Auf beiden Positionen sind die inzwischen erfahrenen Anwälte noch nicht Teilhaber der Kanzlei; sie können aber teils als Vorstufe oder auch als Alternative zur Vollpartnerschaft angesehen werden. Der Frauenanteil auf diesen Positionen ist dann schon deutlich niedriger: auf der Counsel-Stufe sind es 39 Prozent, bei den Salary Partnern 34 Prozent. Beim Erklimmen der obersten Stufe auf der Karriereleiter mit der Ernennung zum Partner oder zur Partnerin – also zur Teilhaberschaft mit Gewinnbeteiligung – bricht der Frauenanteil dann deutlich ein auf 16 Prozent.

Und nicht nur das: „Die wenigen Frauen, die diese Stufe erreichen, werden zudem rund eineinhalb Jahre später in die Partnerschaft befördert (nach 7,6 Jahren) als ihre männlichen Kollegen (nach 6,2 Jahren)“, heißt es in der Untersuchung der Allbright-Stiftung. Denn: Für viele Junganwältinnen stellt sich in dieser Lebensphase die Frage einer Familiengründung. Kehren sie nach der Geburt, häufig nur im Fall der sichergestellten Betreuung ihres Kindes und bei reduzierter Arbeitszeit, wieder in ihr Team zurück, sind intern männliche Konkurrenten im Rennen um einen Platz in der Partnerschaft häufig an ihnen vorbeigezogen.

Dass auf dem Weg an die Spitze so viele Frauen ausscheiden, hat laut Studienautoren vor allem mit der branchenüblichen Arbeitskultur und insbesondere den Arbeitszeiten zu tun. Gemessen wird die Leistung der Anwälte in Großkanzleien gängigerweise mit der Zahl der „billable hours“, also den Arbeitsstunden, die einem Mandanten direkt in Rechnung gestellt werden können. Zwischen 1500 und bis deutlich mehr als 2000 solcher Stunden im Jahr werden je nach Kanzleimanagement von Anwärtern für die Partnerschaft erwartet. Die eigentliche Arbeitszeit liegt freilich höher, weil viele nicht abrechenbare Tätigkeiten wie die eigene Weiterbildung, Vorträge oder Geschäftsessen noch dazu kommen.

Befördert werden laut Studie vor allem diejenigen Kandidaten, die besonders viele abrechenbare Stunden vorweisen – und damit als leistungsstark und belastbar gelten. „Da Frauen seltener einen Partner an der Seite haben, der ihren beruflichen Dauereinsatz in der Familienarbeit ausgleicht, gehen den Großkanzleien mit dieser Arbeitskultur mehr Frauen als Männer verloren“, heißt es in der Studie. Tatsächlich wechseln Frauen in den letzten Jahren als Associate oft in kleinere Kanzleien mit weniger Druck und niedrigeren Gehältern. Andere gehen in den öffentlichen Dienst oder werden Syndikusanwältinnen in den Rechtsabteilungen von Unternehmen, Stiftungen und Verbänden.

Damit bestätigt die Untersuchung den Befund einer empirischen Studie von Matthias Kilian, Rechtsprofessor aus Köln und langjähriger Leiter des dortigen Soldan Instituts. Die vor wenigen Jahren durchgeführte Befragung von 1600 Anwältinnen und Anwälten aus ganz Deutschland zeigte deutliche Unterschiede bei der Übernahme von Familien- und Pflegeaufgaben zwischen den Geschlechtern: Demnach übernehmen Anwältinnen, unabhängig von der Kanzleigröße, deutlich häufiger die Betreuung von Kindern und Pflege von Angehörigen als ihre männlichen Kollegen. Sie leisten einen erheblich größeren Anteil an unbezahlter Familien- und Pflegearbeit, was sich wiederum negativ auf ihre Karriere- und Einkommensentwicklung auswirkt, schlussfolgerte Kilian.

Neben der Arbeitskultur spielt der aktuellen Studie der Allbright Stiftung noch ein zweiter Punkt eine wichtige Rolle: im Gegensatz zu Aktiengesellschaften, in denen der Vorstand von einem Aufsichtsrat überwacht wird, gebe es in Kanzleien kein solches Kontrollgremium. In den meisten Dax-Unternehmen gibt der Aufsichtsrat die Ziele vor für den Frauenanteil auf den Führungsebenen unterhalb des Vorstands. In Großkanzleien aber hätten die schon etablierten Partner bei der Beförderung Jüngerer in den Partnerstatus „uneingeschränkte Entscheidungsmacht“, betonen die Studienautoren. Das Ergebnis der Partnerwahl sei oft sehr homogen, weil die etablierten Partner aus psychologischen Gründen instinktiv meist Personen auswählen, die ihnen selbst ähnlich seien.

Bald 35 Jahre nach der Wiedervereinigung ergeben sich im Kreis der 20 besonders einflussreichen Sozietäten der Republik daraus auffällige Muster: Demnach haben 97 Prozent der Partner in Westdeutschland (mit Berlin) studiert, zudem habe ein auffallend hoher Anteil (70 Prozent) auch noch promoviert, heißt es in der Studie. Auffällig sei aber, dass man in den Kanzleimärkten anderer Länder zu konträren Ergebnissen komme. Dafür hat sich die Studie internationale Großkanzleien angesehen und dabei deutliche Unterschiede zwischen deren Standorten beispielsweise in Deutschland und Großbritannien gefunden. An den britischen Standorten lag der Frauenanteil auf Partnerebene fast doppelt so hoch wie an den deutschen.