
Wir sprechen in dieser Ausgabe von Was liest Du gerade? über zwei literarische Entdeckungen, die uns wunderbar durch den Sommer bringen: über Stig Dagermans poetisches Buch Trost und Ré Soupaults Reisebericht Kaffee mit Croissant. Stig Dagerman (1923–1954) gilt heute als einer der wichtigsten schwedischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Mit seinen eindringlichen, international gefeierten Romanen Die Schlange (1945) und Die Insel der Verdammten (1946) hatte er mit Anfang zwanzig den Schrecken des Krieges eingefangen. Trotz dieses frühen Erfolgs litt Dagerman fortwährend unter schweren Depressionen und Schreibkrisen. Mit nur 31 Jahren setzte er seinem Leben durch Suizid ein Ende. Umso erstaunlicher ist sein jetzt ins Deutsche übersetzter, funkelnder, lebensfroher Essay Trost, in dem er erkundet, was uns am Leben hält – gerade dann, wenn man nicht an Gott glaubt und metaphysisch obdachlos ist.
Die in Deutschland geborene und aufgewachsene Ré Soupault (1901–1996) war ein Multitalent: Sie war Bauhaus-Künstlerin, Fotografin, Journalistin, Zeichnerin, Modemacherin – und wirkte seit Ende der Zwanzigerjahre in Paris in avantgardistischen Kreisen. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg unternahm sie mit einem Vélosolex, einem motorbetriebenen Fahrrad, alleine eine Reise durch Südfrankreich und führte dabei auf losen Blättern ein Tagebuch. Es ist nun unter dem Titel Kaffee mit Croissant in Avignon erschienen. Soupault schreibt über Reisebekanntschaften, erkundet Landschaften, verlassene Schlösser und den Neubeginn des Tourismus. Es ist ein herrliches Buch über ein Europa im Umbruch und im Neubeginn. Wenige Monate später setzt sie ihre Reise fort – und gelangt nach Deutschland, ihr Heimatland, und führt abermals Tagebuch, das unter dem Titel Überall Verwüstung. Abends Kino erschienen ist.
In unserem Klassiker beschäftigen wir uns mit dem französischen Schriftsteller Philippe Jaccottet. In seinem sehr persönlichen Buch Bonjour, Monsieur Courbet erkundet Jaccottet, der am 30. Juni 100 Jahre alt geworden wäre, die Kunst der Moderne. Und unser Zitat des Monats stammt aus dem neuen Roman von Katharina Hagena, Flusslinien.
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Literaturangaben:
– Stig Dagerman: Trost. Mit einem Nachwort von Felicitas Hoppe. Aus dem Schwedischen von Paul Berf. S. Fischer Verlag, 64 S.
– Ré Soupault: Kaffee mit Croissant in Avignon: Reisetagebuch. Verlag Das Wunderhorn, 160 S.
– Philippe Jaccottet: Bonjour, Monsieur Courbet: Künstler, Freunde, kunterbunt. Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Wallstein Verlag, 197 S.
– Katharina Hagena: Flusslinien. Kiepenheuer & Witsch Verlag, 400 S.